Das ist der Plan: Zehntausende Migrantinnen und Migranten gelangen jedes Jahr übers Mittelmeer nach Italien. Um sich Erleichterung im Asylwesen zu verschaffen, geht Italien eine Migrationspartnerschaft mit Albanien ein. In Albanien sollen zwei Auffanglager entstehen – das haben die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama vereinbart. Bezahlt werden die Auffanglager von Italien. Sie sollen womöglich schon im Frühling Platz für 3000 Personen bieten. Die Migranten sollen so lange dort untergebracht werden, bis ihr Asylgesuch in Italien geprüft worden ist. Lehnt die italienische Regierung ein Gesuch ab, kümmert sich Albanien um die Ausschaffung der Menschen.
Darum sind viele überrascht: Ministerpräsident Rama hat solche Zentren vor wenigen Jahren noch abgelehnt – laut Franziska Tschinderle «mit klaren Worten». Die freie Korrespondentin mit Schwerpunkt Südosteuropa lebt in der albanischen Hauptstadt Tirana. «Ministerpräsident Rama hat damals gesagt: Verzweifelte Menschen sollte man nicht ‹wie Giftmüll irgendwo abladen›.» Auch für die albanische Öffentlichkeit kommt die Eröffnung des Plans an der Pressekonferenz überraschend. Über den Deal hatte es kaum Debatten gegeben.
Albanien wird sich die Aufnahme der Menschen ganz sicher bezahlen lassen.
Das sind die Schwierigkeiten: Dass Menschen auf albanischem Boden erfahren, ob sie nach Italien einreisen können, ist rechtens – Albanien ist im Europarat und ein sicheres Land – und vom Prinzip her nicht neu. Auch in anderen Ländern wird die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten diskutiert. Da geschätzt bis 80 Prozent der Menschen, die nach Italien gelangen, gar kein Bleiberecht haben, stellt sich aber die Frage, wie sinnvoll das ist. «Was soll mit diesen Menschen passieren, die kein Asyl zugesprochen bekommen? Werden diese Camps in Albanien bald voll sein? Werden diese Menschen weiterziehen über die Balkanroute in den Norden? Albanien wird ziemlich sicher, genauso wie EU-Mitgliedsstaaten, daran scheitern, solche Menschen zurückzuführen», so Tschinderle.
So begründet Albanien den Deal: Es ist nicht das erste Mal, dass Albanien einen solchen Deal eingeht. Laut Tschinderle legitimiere Regierungschef Rama solche Übereinkünfte gemeinhin damit, dass man in den 90er-Jahren selbst aus dem Land geflüchtet sei und etwas zurückgeben möchte. So ist das etwa im Sommer 2021 nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gewesen. Da hat Albanien auf Wunsch der USA tausende Evakuierte aus Afghanistan aufgenommen.
Die Vergangenheit zeigt, dass man in Albanien sehr viel Toleranz für solche Aktionen hat.
Diese Motive vermuten Experten: Journalistin Tschinderle vermutet weitere Beweggründe. «Albanien wird sich die Aufnahme der Menschen ganz sicher bezahlen lassen.» Wie und in welche Töpfe werde sich noch zeigen. Es könnten Wirtschaftsabkommen im Hintergrund eine Rolle spielen, aber auch eine politische Rückendeckung im EU-Beitrittsprozess. Schliesslich könne Albanien auch geopolitisch profitieren, «weil man sich ins Gespräch bringt, wenn man Kontakte knüpft, wenn man Schlagzeilen macht.»
So dürften die Reaktionen ausfallen: Aus der zersplitterten albanischen Opposition ist kein Widerstand zu erwarten. Ramas sozialistische Partei hat die absolute Mehrheit und kann das Abkommen wohl im Alleingang durchboxen. Tschinderle rechnet auch nicht mit Ressentiments in der Gesellschaft den Migranten gegenüber. Diese habe es schon gegen Evakuierte aus Afghanistan und andere Exilgruppen, die in Albanien Schutz gefunden hätten, kaum gegeben. «Da zeigt uns die Vergangenheit, dass man hier eine ganz andere Gemengelage und auch sehr viel Toleranz für solche Aktionen hat.»