Saudi-Arabien ist im Wandel. Frauen dürfen Auto fahren, müssen sich nicht mehr vollverschleiern und die Sittenpolizei ist abgeschafft. Seit seiner Machtübernahme vor sechs Jahren hat de-facto-Herrscher Mohammed bin Salman diverse Sozialreformen eingeleitet. Das freundliche Bild, das «MBC» portieren will, erhält aber bei genauerer Betrachtung Risse.
Denn in den letzten Jahren nahm auch die Repression zu. So hat sich die Zahl der Hinrichtungen laut Menschenrechtsorganisationen fast verdoppelt. Im letzten Jahr sollen rund 150 Menschen hingerichtet worden sein.
Zuckerbrot und Peitsche im Reich der Sauds: Elham Manea, Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich, erkennt dahinter eine Logik. «Aus Sicht des Regimes kann jede Öffnung zu einer Destabilisierung des gesamten Systems führen.»
Die blutige Repression soll dafür sorgen, dass der Wandel in geordneten Bahnen verläuft. Die Menschen mögen mehr Freiheiten haben, doch das Regime zieht rote Linien. Buchstäblich.
Riad zögert nicht, Andersdenkende hinzurichten. Die Menschen sollen sich zweimal überlegen, ob sie protestieren oder saudische Gesetze brechen wollen.
Die Expertin für die Arabische Halbinsel spricht von einer Politik der Angst. «Riad zögert nicht, Andersdenkende hinzurichten. Die Menschen sollen sich zweimal überlegen, ob sie protestieren oder saudische Gesetze brechen wollen.»
Kritiker werfen Saudi-Arabien vor, die Öffnung des Landes sei blosse Kosmetik. Doch tatsächlich sind sie Teil eines langfristigen Plans, die stark von Öl abhängige Wirtschaft zu diversifizieren. «Das Land soll in ein attraktives Wirtschaftszentrum verwandelt werden», erklärt Manea. «Der Tourismus, die Unterhaltungsindustrie und die aktive Teilnahme von Frauen an der Arbeitswelt stehen im Vordergrund.»
Saudi-Arabien ist ein relativ junger Staat. Er entstand im 20. Jahrhundert durch militärische Kampagnen der saudischen Dynastie. Bis heute ist das Land sehr vielfältig. Die Stammeszugehörigkeit und der damit verbundene soziale Status spielen eine grosse Rolle.
«Die nationale Identität ist noch im Entstehen begriffen», sagt die Kennerin der arabischen Welt. Das Regime fürchtet demnach, dass der Öffnungskurs zum Zusammenbruch des Staats führen könnte. «Ähnlich, wie es mit der Sowjetunion geschehen ist.»
Brodelt es im Hause Saud?
Riad vollführt einen Tanz auf der Rasierklinge. Die Modernisierung ist unerlässlich, um das Land zukunftsfähig zu machen. Gleichzeitig sollen die Öffnungen vollzogen werden, ohne dass sich eine freiheitlichere Gesellschaft gegen das Regime wendet.
Lange herrschte ein Pakt in Saudi-Arabien: Die Herrscherfamilie wurde vom wahhabitischen Klerus legitimiert; dieser konnte dafür die Gesellschaft nach seinen puritanischen Idealen formen. «Nun wird die drakonische soziale Kontrolle gelockert. Die Liberalisierung ist real», sagt Manea.
Doch wie real ist die Gefahr, dass sich die Bevölkerung gegen das Regime auflehnt – so wie im verfeindeten Iran? Grundsätzlich würden die Reformen von den Frauen und der überwiegend jungen Bevölkerung Saudi-Arabiens unterstützt, schätzt Manea. «Sie heissen das Ende der erstickenden religiösen Kontrolle willkommen.»
«Die Modernisierung mit eiserner Faust» vollziehe sich derzeit ähnlich, wie es in China geschehen sei. «Und das scheint zu funktionieren», schliesst die Forscherin. Für wahrscheinlicher als eine soziale Revolte hält Manea, dass es im Hause Saud brodeln konnte. «Wenn es zu einer Veränderung kommt, wird dies eher durch einen Palastputsch passieren.»