Mit dem Ukraine-Krieg ist der Ölpreis gestiegen und Saudi-Arabien als Energielieferant gefragter denn je. Sogar der Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ging im Kriegsjahr vergessen. Kronprinz Mohammed bin Salman, der beteiligt gewesen sein soll, ist rehabilitiert.
Gleichzeitig öffnet sich das Land für Investoren und den Tourismus. Der König und sein Thronfolger geben dem Volk Freiheiten, die in Jahrzehnten religiöser Selbstisolation undenkbar waren.
Die befohlene Öffnung
Vor allem die jüngere Generation geniesse die Öffnung stark, nachdem das Leben so unglaublich fad und langweilig gewesen sei, sagt die Journalistin Susanne Koelbl, die das Land seit zwölf Jahren bereist: «Bis vor drei bis vier Jahren waren Konzerte, Partys und Kinos undenkbar, ebenso, dass Männer und Frauen gemeinsam in einem Saal sitzen.»
Nicht weniger bedeutsam: Das Königreich entwickle jetzt eine echte Wirtschaft für sich. Das habe es bisher nicht gegeben. Dafür eine Art «saudischer Sozialismus» – mit einem Monarchen, der dafür absoluten politischen Gehorsam eingefordert habe. Mit Blick auf wieder niedrigere Ölpreise und einst versiegende Vorkommen, schauen sich die Saudis nun nach Alternativen um. «Märchenhaft reich sind nur wenige, der Rest lebt mittelständisch wie in Europa auch.»
Kritik weiterhin verboten
«Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, was das in den Köpfen der Leute ausgelöst hat, auch wenn es ausser dem bestellten Jubel keine öffentliche Diskussion gab», so Koelbl. Denn gross sei der Widerstand bei den Religiösen und jenen gewesen, die vom alten System profitiert hätten. Doch die absolute Monarchie habe hart durchgegriffen und viele Kleriker sowie andere Leute mit kritischem Potenzial seien im Gefängnis gelandet.
Saudi-Arabien habe sich noch nie um Menschenrechte geschert. «Allerdings liess der vormalige König eine gewisse Kritik noch zu, um beim Volk den Puls zu führen. Mit dem neuen König und seinem Sohn ist das nicht mehr denkbar», sagt Koelbl weiter.
Rekordverdächtige Grossprojekte
Unter den G20-Staaten wächst Saudi-Arabien momentan auch im Tourismussektor am stärksten. Ein Visum ist heute leicht erhältlich. Es wird massiv investiert, etwa ins höchste Gebäude der Welt in Dschidda, höher als der Burj Khalifa in Dubai. Geplant ist auch «The Line», eine ganze klimaneutrale Stadt in der Wüste, mit einem 170 Kilometer langen Gebäude.
Wird es dem jungen Kronprinzen gelingen, Saudi-Arabien als wichtige Nation in der Welt zu positionieren? Auch nach dem Ukraine-Krieg, in einer Welt ohne Öl? Das dürfe bezweifelt werden, schätzt Koelbl. Noch lebe das Land vom Öl als einzigem Gut, dessen Reserven noch eine Weile anhielten.
Wie realistisch ist der Traum des Herrschers?
Das Land setze nun die Öl-Gewinne für die Transformation ein, um später ohne den Rohstoff zu leben. Mit Tourismus werde das jedenfalls nicht gehen. Und auch als allfälliger interessanter Finanzstandort wecke das Land wegen seines Rechtssystems eher ungute Gefühle. Dazu komme laut Koelbl der Klimawandel als massive Herausforderung für diese Region. Auch wenn die Chancen gutstünden, das Öl dereinst durch grünen Wasserstoff und Solarenergie zu ersetzen.