Das ist passiert: In Niger haben Offiziere der Präsidialgarde in der vergangenen Woche den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum festgesetzt und für entmachtet erklärt. Der Kommandeur der Eliteeinheit, General Abdourahamane Tiani, ernannte sich selbst zum neuen Machthaber. Der Putsch kam überraschend – anders als in den Nachbarstaaten Mali oder Burkina Faso, wo sich die Umstürze mit Unruhen angekündigt hatten. Laut Simone Schnabel, Afrika-Expertin der Hessischen Stiftung für Frieden und Konfliktarbeit, hatte der Coup wohl innenpolitische Motive: Das Elitekorps des Militärs wollte seine Macht sichern.
Die Bedeutung von Niger für den Westen: Nach Militärputschen in Mali und Burkina Faso seit 2020 war Niger das letzte der drei Nachbarländer in der Sahelzone, das von einer demokratisch gewählten Regierung geführt wurde. Niger war ein wichtiger Partner für den Westen, insbesondere im Kampf gegen den Terrorismus und in Migrationsfragen. «Durch die Entwicklungen in der Region wurde Niger für europäische Regierungen zum Stabilitätsanker», erklärt Schnabel. «Dabei wurde aber die Fragilität der Institutionen im Land unterschätzt, allen voran die des Militärapparats.»
Das zarte Pflänzchen Demokratie: Die Erfahrung mit der Demokratie fällt für die Menschen in Niger eher ernüchternd aus. Die ohnehin prekäre Lebenssituation vieler Menschen hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Laut der Afrika-Expertin haben dazu die Pandemie, aber auch der Krieg in der Ukraine beigetragen. Denn in der ganzen Region sind Abermillionen Menschen auf Getreidelieferungen aus der Ukraine angewiesen. Teile der Zivilgesellschaft versuchen nun, die Bevölkerung zu mobilisieren, damit sich diese ausländischen Einflüssen entgegenstellt. Hinweise dafür, dass es sich beim Putsch um eine Auflehnung gegenüber der Einmischung aus Frankreich und der EU handelt, sieht Schnabel aber nicht.
Verfolgung und Repression: In den letzten Jahren seien der repressive Kurs des bisherigen Präsidenten Bazoum und seines Vorgängers in der Bevölkerung auf Kritik gestossen, führt die Expertin aus. Dazu gehörten die Verhaftung von Oppositionellen und die Einschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit. «Zudem wurden die Möglichkeiten der Menschen, sich in der Region zu bewegen, durch den EU-Grenzschutz massiv eingeschränkt.»
Antiwestliche Ressentiments: In Nigers Hauptstadt Niamey sind derzeit auch russische Flaggen zu sehen. Sie sind für Schnabel auch Ausdruck davon, dass ausländische Militärinterventionen in der Region – insbesondere durch Frankreich – zum Teil sehr umstritten waren. «Antifranzösische Ressentiments sind in der nigrischen Gesellschaft schon länger verbreitet.» Die Bilder aus der Hauptstadt sind aber mit Vorsicht zu interpretieren. Denn Niamey ist eine Hochburg der Opposition: «Repräsentativ für die Stimmung in der Gesamtbevölkerung ist die Hauptstadt nicht.»
Die Gefahr eines Krieges: Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas droht mit einem militärischen Eingreifen in Niger. «Damit hat sie die Chancen auf eine diplomatische Lösung geschmälert», sagt Schnabel. Die Verhandlungen zwischen der Ecowas und den Putschisten laufen aber weiter. Krieg und humanitäres Elend in der Region würden auch den Migrationsdruck auf Europa erhöhen. Zivilgesellschaftliche Kräfte appellieren an eine friedliche Lösung der Krise. Ausgang: ungewiss.