2024 ist ein globales Superwahljahr: Bei vielen dieser Wahlen könnten Populisten und Autokraten erstarken. Oft wird ihr Aufstieg mit den sozialen Medien in Verbindung gebracht. Denn dort können sie direkt und ungefiltert zu ihrem Publikum sprechen. Der deutsche Politikwissenschaftler forscht an der Princeton University zum Thema Populismus. Er relativiert den vermeintlich demokratiegefährdenden Einfluss der sozialen Medien.
SRF News: Ist der Aufstieg der Autokraten und Populisten allein den sozialen Medien zuzuschreiben?
Jan-Werner Müller: Man hat es sich nach dem doppelten Schock von 2016 mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten zu einfach gemacht. Die Erklärung, an allem seien die sozialen Medien schuld, greift zu kurz. Bei einigen hat es auch die Schleusen für Vorurteile über «das Volk» wieder geöffnet. Die Devise: Schaut mal, was für Unsinn dabei herauskommt, wenn sich «die einfachen Leute» artikulieren können: Fake News und post-truth (dt. «postfaktisches»), also Dinge, die nicht mit der Wahrheit übereinstimmen.
Natürlich gibt es dafür viele Beispiele. Aber diese Art von technologischem Determinismus ist so nicht richtig. Dem Medium an sich kommt nicht diese politische Bedeutung zu. Das ist inzwischen auch empirisch erhärtet: Es lässt sich nicht alles auf Filterblasen und Echokammern reduzieren, wie man es vor einigen Jahren noch gedacht hat.
Was sagt die Forschung denn genau?
Echokammern gibt es natürlich, ebenso wie eine in sich geschlossene Medienblase – gerade in den USA. Diese Phänomene gab es aber schon vor dem Internet und sie gehen zurück auf Radio und das Kabelfernsehen. Deren Aufstieg hat wiederum viel mit politisch gewollter Regulierung bzw. Deregulierung zu tun. Das Internet an sich ist nicht schuld. Wenn überhaupt, sagt uns die Forschung, dass unser Leben online teils vielfältiger ist als unser Leben offline. Das heisst nicht, dass deswegen etwas «besser» läuft und die Menschen beispielsweise toleranter werden. Es kommt auf die Inhalte an und darauf, wer sich mit wem verbündet.
Es gibt einen Mechanismus in den sozialen Medien, den Populisten ausnutzen können.
Es gibt allerdings eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen Populismus und sozialen Medien. Früher konnte man die Bürgerinnen und Bürger entweder durch eine Partei oder durch Klientelismus mobilisieren, also indem man ihnen Vergünstigungen versprach. Die sozialen Medien haben es ermöglicht, extrem viele Menschen direkt anzusprechen. Das hat es in der Tat einigen Politikern, die ansonsten keine Mobilisierungschancen gehabt hätten, ermöglicht, plötzlich viele Menschen für sich zu gewinnen.
Sie führen diese Entwicklungen also nicht in erster Linie auf die sozialen Medien zurück?
Es wäre falsch zu sagen, dass jeder Politiker, der Social Media nutzt, automatisch etwas Populistisches macht. Viele andere sind weiterhin bereit, mit Parteien zu arbeiten und sich in ihrem Handeln und in ihren Reden zu beschränken. Wir sind also nicht dazu verdammt, in populistischen Zeiten zu leben. Gleichwohl gibt es einen Mechanismus in den sozialen Medien, den Populisten ausnutzen können. Die Frage für uns alle ist: Wie kann man verhindern, dass Politiker wie Bolsonaro oder Trump dies auf ihre Weise tun?
Ihre Antwort?
So altmodisch und langweilig es klingen mag: Es gibt gewisse Regulierungsmöglichkeiten. Man kann festlegen, dass jemand, der sich politisch engagieren will, das weiterhin über Parteien tun muss. Und diese müssen gewissen demokratischen Mindeststandards genügen.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.