Offiziell gibt es in Kenia nur wenige Dutzend bestätigte Corona-Fälle. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen. Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, hat die Regierung eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, die von der Polizei rigoros durchgesetzt wird.
Dabei wurde diese Woche in der Hauptstadt Nairobi ein 13-Jähriger erschossen. SRF-Afrikakorrespondentin Anna Lemmenmeier ist zurzeit in der Schweiz, kennt aber den Fall und weiss: Die Polizeigewalt ist ein Riesenproblem im Land.
SRF News: Wieso geht die kenianische Polizei derart gewaltsam vor?
Anna Lemmenmeier: Leider macht sie oft solche Schlagzeilen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das erste Todesopfer verzeichnet wird. Es gibt mittlerweile sogar einen zweiten Fall. Ein Taxifahrer soll zu Tode geprügelt worden sein, weil er eine schwangere Frau während der Ausgangssperre ins Spital gebracht hatte. Offenbar glaubt die Polizei, dass sie nur so dafür sorgen kann, dass die Ausgangssperre eingehalten wird – mit Tränengas, Schlagstöcken und Munition.
Warum halten die Menschen in Kenia die Ausgangssperre nicht ein?
Der erschossene Junge hatte sie sehr wohl eingehalten. Er war bei sich zu Hause auf dem Balkon. Es muss sich wohl um eine verirrte Kugel gehandelt haben. Die allermeisten Menschen in Kenia halten die Ausgangssperre ein, weil sie sich so fürchten vor der Polizei.
Solange die Kenianer jeden Tag aus den Slums heraus müssen, damit sie genug verdienen, um essen zu können, solange sind wohl all diese anderen Massnahmen ein Tropfen auf den heissen Stein.
Am Tag, als die Ausgangssperre in Kraft trat, begann die Polizei bereits vor Beginn der Ausgangssperre um 19 Uhr damit, die Leute zusammenzutreiben. Das ist nicht gerade das ideale Vorgehen, wenn es darum geht, ein Virus zu bekämpfen. Der Präsident hat sich mittlerweile dafür entschuldigt.
Wie gut schützt die kenianische Regierung ihre Bürgerinnen und Bürger?
Kenia hat sehr schnell reagiert. Bereits zwei Tage nach dem ersten Fall schloss die Regierung die Schulen, kurz danach den Luftraum. Auch die Restaurants sind zu. Zudem gab es Steuererleichterungen, um die wirtschaftlichen Schäden etwas abzufangen. Aber das Wichtigste wäre derzeit, die Ärmsten der Armen zu unterstützen. Solange die Leute jeden Tag aus den Slums hinaus müssen und in ganz Nairobi unterwegs sind, damit sie genug verdienen, um essen zu können, solange sind wohl all diese anderen Massnahmen ein Tropfen auf den heissen Stein.
Wie sieht es in den Slums mit den Hygienevorschriften aus?
Man hat nun natürlich nicht plötzlich fliessend Wasser, das gab es schon vorher nicht. Es ist schwierig, sich so die Hände zu waschen. Dasselbe mit dem ÖV: Wenn man darauf angewiesen ist, Minibusse zu benutzen, in denen Leute zusammengepfercht sitzen, ist das schwierig. Aber es gibt auch viel Eigeninitiative von Menschen in den Slums. Sie stellen Waschstationen auf und betreiben Aufklärung. Sie versuchen, sich selbst zu schützen.
Herrscht Angst, dass die Spitalversorgung nicht gewährleistet ist?
Die meisten Leute sagen: Wir müssen einfach schauen, dass uns möglich nichts passiert. Es gibt aber auch Corona-Leugner in Kenia. Ich höre immer wieder, es treffe Afrikaner nicht, oder aber die hohen Temperaturen sorgten dafür, dass die Epidemie dort gar nicht richtig ausbricht – solche «Fake News» sind ein riesiges Thema in Kenia.
Gibt es Hoffnung, dass Kenia mit einem blauen Auge davonkommt?
In Kenia leben wenige alte Menschen. Das spricht für das Land. Aber es gibt viele Schwache. Das ist in ganz Afrika so. Was das in Bezug auf das Coronavirus heisst, werden wir in den nächsten Wochen sehen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.