Der Präsident von Nicaragua, Daniel Ortega, steht kurz vor seiner vierten Amtszeit. Es war eine Wahl, die viele als Farce bezeichnen. Aus dem einstigen Helden wurde ein Autokrat. Die Tendenz hin zu mehr Autokratie sei in Mittelamerika nicht nur in Nicaragua zu beobachten, erklärt der Lateinamerikaexperte Günther Maihold.
SRF News: Inwiefern ist Nicaragua ein Beispiel für eine grössere Entwicklung in Mittelamerika hin zu mehr Autoritarismus?
Günther Maihold: Wir sehen in vielen Staaten der Region eine Ausprägung von bestimmten Persönlichkeiten, die sich an die Spitze der Politik gesetzt haben. Sie verstehen sich auf Wiederwahlmechanismen und nutzen politische Parteien als politisches Trampolin.
Nicaragua ist aufgrund seiner revolutionären Vergangenheit ein extremes Beispiel. Die breite Unterstützung der Bevölkerung war der Ausgangspunkt. Heute steht die Bevölkerung dieser autoritären Wende weitgehend distanziert entgegen.
Wie konnte es in Mittelamerika zu dieser Entwicklung hin zu autokratischen Systemen kommen?
Wir haben zum einen gesehen, dass die politischen Parteien immer mehr in die Krise geraten sind, dass sie ihre Verwurzelung in der Bevölkerung verlieren und vor allem immer stärker an Persönlichkeiten gebunden werden. Von diesen werden sie entsprechend eingesetzt.
Wir haben eine Tendenz, dass sich die Bevölkerung an der harten Hand orientiert, an Persönlichkeiten, die ihr Zukunft und insbesondere auch Sicherheit versprechen.
Zum zweiten ist es in den vergangenen Jahren zu einer tieferen Aushöhlung des Rechtsstaates gekommen. Die Gewaltenteilung wurde abgelöst durch eine Gleichschaltung der Mächte. Und wir haben eine Tendenz, dass sich die Bevölkerung an der harten Hand orientiert, an Persönlichkeiten, die ihr Zukunft und insbesondere auch Sicherheit versprechen – auch wenn dies letztlich nicht immer umgesetzt werden kann.
Die Streitkräfte in den verschiedenen Ländern stehen oft hinter den Regierungen. Wie haben die jeweiligen Machthaber das Militär ins Boot geholt?
Nehmen wir den Fall El Salvador. Präsident Nayib Bukele hat es fertiggebracht, das Parlament mit Mitgliedern der Streitkräfte zu stürmen, um Abgeordnete einzuschüchtern – mit der Perspektive, sich als der einzige Vertreter des Volkswillens darzustellen.
Man hat die Streitkräfte am Regierungsgeschehen, der Korruption und der individuellen Besserstellung beteiligt. Das hat die Position der Autokraten gefestigt.
Gleiches gilt auch für den Fall Nicaragua. Die Streitkräfte, die Sandinistische Revolutionsarmee, wie sie früher mal hiess, verhalten sich bisher ganz loyal zu den legalistischen Positionen einer formalen Bestimmung durch einen Wahlvorgang von Daniel Ortega. Dadurch können wir deutlich erkennen: Man hat die Streitkräfte am Regierungsgeschehen, auch an der Korruption und der individuellen Besserstellung beteiligt. Das hat die Position der Autokraten gefestigt.
Abgesehen von den politischen Machthabern gibt es einen weiteren wichtigen Player in der Region: die USA. Die sehen die Region immer noch als ihren Hinterhof an. Warum tun die USA nicht mehr, um diese Tendenzen zu verhindern?
Wir hatten in der Vergangenheit ein grosses Engagement unter Barack Obama, das sich insbesondere in der Unterstützung für die Rechtsstaatskommissionen, die international eingesetzt wurden, manifestierte. Unter Donald Trump ist das alles zusammengebrochen. Und das ist von vielen dieser Autokraten als Freifahrtschein interpretiert worden.
Es ist der Moment, wo Joe Bidens Regierung Farbe bekennen und zeigen muss, dass sie den Schalter umlegt im Sinne einer stärkeren Förderung von Demokratie und Rechtsstaat.
Man könne nun auch gegen die Autonomie der Legislative vorgehen und sich mit einer weiteren Zentralisierung der Macht in eine vorteilhafte Situation bringen. Es ist jetzt genau der Moment, wo die Regierung von Joe Biden Farbe bekennen und zeigen muss, dass sie den Schalter umlegt im Sinne einer stärkeren Förderung von Demokratie und Rechtsstaat.
Das Gespräch führte Adam Fehr.