Für US-Präsident Joe Biden ist es höchste Zeit. Höchste Zeit für einen Schulterschluss der demokratischen Länder gegen die Diktaturen: «Der Westen befindet sich in einem Wettbewerb, nicht nur mit China, vielmehr mit autoritären Regierungen rund um die Welt», sagte er. Deshalb müssten demokratisch gesinnte Länder gemeinsam vorgehen.
Der Westen befindet sich in einem Wettbewerb mit autoritären Regierungen rund um die Welt.
Dem soll der internationale Demokratiegipfel dienen, an dem über Menschenrechte, über den Kampf gegen autoritäre Tendenzen und gegen die Korruption gesprochen werden soll. In Washington ist euphorisch die Rede vom «Befeuern einer demokratischen Erneuerung». Einbezogen werden sollen auch die Privatwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen. Biden gibt sich felsenfest überzeugt: «Am Ende wird und muss die Demokratie siegen.»
Was ist mit Türkei, Ungarn, Philippinen?
Ausserhalb der US-Behörden hält sich indes die Begeisterung in Grenzen. Kenneth Roth, der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, spricht gegenüber SRF gar von einer schlechten Idee: «Unter den 110 eingeladenen Ländern sind viele, die demokratischen Standards kaum genügen – von der Türkei über die Philippinen bis Ungarn oder Polen.»
Tatsächlich lädt die Biden-Regierung sehr viele Staaten ein zum ersten, virtuellen Gipfel. Roth hofft nun, dass im Dezember wenigstens minimale Standards definiert werden. Dass also für einen zweiten, physischen Gipfel nur noch jene eingeladen werden, welche die Vorgaben erfüllen: «Das schüfe einen Anreiz für die Teilnehmer, sich zu bemühen.»
Professor Jussi Hanhimäki hingegen, Spezialist für internationale Beziehungen am Genfer Graduate Institute, hält den US-Ansatz des «Grossen Zeltes», also zunächst viele Regierungen zu versammeln, für richtig: «Denn all jene Regierungen, die ausgeschlossen wären, hätten keinerlei Anreiz mehr, nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu streben.»
Trotzdem stelle sich die Frage, wo die Linie zu ziehen sei: «Ungarn oder die Türkei: Wer ist gerade noch ein Demokrat, wer schon ein Autokrat?»
Hanhikmäki erwartet von Bidens Demokratiegipfel keine grossen Entscheidungen, findet aber, die demokratische Welt dürfe nicht einfach weiter tatenlos zusehen, wie, angeführt von China und Russland, der Autoritarismus Jahr für Jahr weltweit an Terrain gewinnt.
Autokraten halten sich für überlegen
Human-Rights-Watch-Chef Kenneth Roth geht davon aus, dass Nichteingeladene wie Venezuela, Nicaragua, China, Russland und viele andere den Biden-Gipfel schlicht zu ignorieren versuchen. Denn sie wüssten sehr wohl, dass sie meilenweit davon entfernt sind, sich dafür zu qualifizieren. «Gerade China erhebt keinerlei Anspruch, als freiheitlich-rechtsstaatliche Demokratie zu gelten, sondern hält sein Regierungssystem für weit überlegen», stellt Roth fest.
Am ehesten etwas bewirken könne man wohl noch bei den «Möchtegern-Demokraten»: Das sind Machthaber, die zumindest auf einen demokratischen Anschein Wert legen. Überzeugte Autokraten jedoch werden Bidens Vorhaben als Einmischung in die nationale Souveränität kritisieren und genüsslich auf demokratische Mängel auch im Westen und gerade in den USA hinweisen.
So löblich und nobel der Plan des US-Präsidenten scheint, Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen – so schwierig ist dessen Umsetzung. Auch ein krachendes Scheitern ist nicht ausgeschlossen.