Die Bevölkerung Ecuadors ist entsetzt nach dem Mord an der jüngsten Bürgermeisterin des Landes. Die 27-jährige war Bürgermeisterin von San Vicente. Die in Mexiko lebende Journalistin Sandra Weiss kennt die Situation im von Gewalt erschütterten Land.
SRF News: Wie reagiert man in Ecuador auf den Mord an Brigitte Garcia?
Sandra Weiss: Der Schock ist gross. Die Bevölkerung hatte nach Einführung des Ausnahmezustands im Januar gehofft, dass sich die Situation im Land bessert. Diese Hoffnung hat sich jetzt ein stückweit zerschlagen.
Warum ist es offenbar so schwierig, Politiker in Ecuador vor Attentaten zu schützen?
Das Land galt bis vor kurzem als relativ friedlich. Doch nach dem Ende der Pandemie ist die Gewaltkriminalität geradezu explodiert – die Zahl der Morde hat sich fast verzehnfacht. Die Pandemie hatte Ecuador stark getroffen, während der Staat kaum in der Lage war, die ökonomischen Folgen für die Bevölkerung abzufedern.
Der Staat war auf die Drogenkartelle nicht vorbereitet – und wurde geradezu von einer Gewaltwelle überrollt.
Gleichzeitig nahmen Drogenkartelle und -banden das Land ins Visier und begannen, Kokain von ecuadorianischen Häfen aus in alle Welt zu exportieren. Der Staat war darauf überhaupt nicht vorbereitet und wurde geradezu von der Gewaltwelle überrollt.
Hinzu kam eine politische Krise: Nach einem Machtkampf mit dem Parlament trat Präsident Guillermo Lasso zurück. Der anschliessende Wahlkampf heizte die Gewalt dann weiter an. Die Drogenkartelle versuchten, Vertrauensleute in wichtige Posten zu heben, während sie nicht genehme Politiker bedrohten oder sogar ermordeten.
Was hat die Regierung von Präsident Daniel Noboa gegen die Drogenbanden unternommen?
Seit Verhängung des Ausnahmezustands im Januar patrouillieren Soldaten in den Strassen, auch erlangten die Behörden wieder die Kontrolle über die von den Drogenkartellen unterwanderten Gefängnissen zurück. Daraufhin entspannte sich die Lage etwas.
Den Jugendlichen muss eine attraktive Perspektive ausserhalb der Drogenbanden ermöglicht werden.
Doch das reicht nicht, denn militärisch ist die Drogenmafia nicht zu besiegen. Dazu müssen ihre Geldströme ausgetrocknet sowie ihre Unterstützer aus dem Staatsapparat entfernt und verurteilt werden. Immerhin hat eine Sonderermittler-Einheit hier einige Erfolge erzielt. Mittel- und langfristig muss den Jugendlichen im Land jedoch eine attraktive Perspektive ausserhalb der Drogenbanden ermöglicht werden. Und dazu sind soziale Reformen notwendig.
Allein vergangenes Jahr starben in Ecuador rund 8000 Menschen durch Bandengewalt. Was macht das mit dem Land?
Epizentrum der Gewalt ist die Pazifikküste, wo die Häfen liegen. Diese Region ist sehr arm, die Regierung in Quito tut für sie äusserst wenig. Die dortige Bevölkerung ist traumatisiert und eingeschüchtert von der Gewalt, Tourismus und Nachtleben sind zum Erliegen gekommen. Im restlichen Land ist der Ausnahmezustand viel weniger stark spürbar. In der Politik allerdings dreht sich fast alles um die Kartell-Gewalt. Andere Themen wie Soziales, Wirtschaft, Umwelt oder die Indigenen-Rechte sind aus der öffentlichen Diskussion praktisch verschwunden. Doch gerade hier läge die Ursachenbekämpfung – in einer Vision für eine bessere Zukunft.
Das Gespräch führte Marc Allemann.