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Bandengewalt «So schlimm war es auf Haiti nicht einmal unter Duvalier»

Das Land brauche dringend eine funktionierende Sicherheitsmission, warnt der UNO-Menschenrechtsexperte für Haiti.

So verheerend und gewalttätig sei die Lage auf Haiti noch nie gewesen, berichtet der unabhängige Menschenrechtsexperte der UNO, William O'Neill – weder unter der 30-jährigen Duvalier-Diktatur noch nach dem Erdbeben von 2010 mit rund einer Viertelmillion Toten.

Haiti wird heute in weiten Teilen von Banden kontrolliert. Besonders die Hauptstadt Port-au-Prince, wo rund ein Viertel der rund zwölf Millionen Haitianerinnen und Haitianer leben. Gangs terrorisierten mittlerweile die Bevölkerung in 80 Prozent der Hauptstadt, sagt O’Neill.

«Die Banden töten und entführen für Lösegeld. Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet, Leute werden gefoltert oder geschlagen.
Autor: William O'Neill Unabhängiger Menschenrechtsexperte der UNO für Haiti

Seit Anfang Jahr kamen mehr als 3600 Menschen in Zusammenhang mit der Bandengewalt um, die Zahl der intern Vertriebenen hat sich auf rund 700'000 Personen verdoppelt. «Sie töten Menschen, entführen sie für Lösegeld. Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet, Leute werden gefoltert oder geschlagen», so O'Neill.

In der desolaten Lage spitzt sich auch die humanitäre Lage zu. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist vom Hunger bedroht.

Haiti.
Legende: Vertriebene der Bandesgewalt zelten auf einem Schulgelände in der Hauptstadt Port-au-Prince. Keystone/AP/ODELYN JOSEPH

Politisch instabil ist die Lage in Haiti seit Jahren. Doch seit der Ermordung von Präsident Jovenal Moïse vor drei Jahren hat das Land nicht mehr aus der Krise herausgefunden. Seit knapp einem halben Jahr regiert ein tief gespaltener Übergangsrat.

Spannungen nach Machtwechsel im Übergangsrat

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Leslie Voltaire
Legende: Leslie Voltaire, neuer Präsident des Übergangsrats bei seiner Vereidigung am 7. Oktober 2024 in Port-au-Prince. Keystone/EPA/Johnson Sabin

Nach der Blockade der Machtübergabe durch den scheidenden Präsidenten des Übergangsrats Edgard Leblanc Fils hat sich die politische Krise in Haiti weiter zugespitzt. Trotz heftiger Widerstände übertrug der haitianische Übergangsrat am Montag die rotierende Regierungsführung an den Architekten Leslie Voltaire.

«Unter meiner Präsidentschaft wird der Übergangsrat seine Errungenschaften konsolidieren und Strukturen schaffen, um effizienter und transparenter zu arbeiten», versprach Voltaire.

Der Übergangsrat war in Haiti im April 2024 nach mühsamen Verhandlungen zwischen verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen des karibischen Landes ernannt worden, bis die Bedingungen für Neuwahlen als sicher genug angesehen wurden. Die letzten allgemeinen Wahlen fanden 2016 statt, obwohl sie eigentlich alle fünf Jahre stattfinden sollten.

Das politische Vakuum kommt den Gangs zugute. «Diese Banden bauen ihren Einfluss aus, ohne jegliche Ideologie dahinter», so der Menschenrechtsexperte der UNO, William O'Neill. Und zwar nicht nach dem Muster von Taliban der Al-Kaida, sondern eher wie die italienische Mafia. «Es geht um Geld und darum, Territorien, Menschen und Märkte zu kontrollieren.»

Banden in Haiti.
Legende: Mitglieder der «G9 and Family»-Bande stehen Wache für ihren Chef während einer Pressekonferenz in Port-au-Prince am 5. März 2024. Keystone/AP/ODELYN JOSEPH

Es gehe nicht darum, einen Staat aufzubauen, die Banden hätten keinerlei Unterstützung in der Bevölkerung, sagt O'Neill. Nach seinen Angaben haben die grössten Gangs an die Tausend Mitglieder, viele erst im Teenageralter. Doch sie seien eng mit Politik und Wirtschaft verwoben.

«Hommes en cravate» als Unterstützer

«Hommes en cravate» nenne man jene Politiker und Businessleute, die mit den Banden zusammenspannten. Bei Wahlen, dem Schutz von Monopolen oder anderer illegaler Aktivitäten benutzen sie die Banden als bewaffneten Arm. Einige dieser Politiker und Geschäftsleute sind bereits vom UNO-Sicherheitsrat oder den USA mit Sanktionen belegt worden.

Bandenmitglied.
Legende: Bewaffnete Banden halten Haitis Bevölkerung seit Monaten im Würgegriff. Imago/Zuma Press Wire/Hector Adolfo/Quintanar Perez

Um die desolate Sicherheitslage wieder unter Kontrolle z bringen, bräuchte es laut O'Neill dringend eine funktionierende internationale Sicherheitsunterstützungsmission. Beschlossen hat sie der UNO-Sicherheitsrat und vor wenigen Tagen um ein Jahr verlängert. Doch von den 2500 internationalen Polizisten sind erst deren 400 im Land eingetroffen. Es fehlt das Geld.

Es wäre machbar mit Sicherheitsunterstützung, Waffenembargo und Sanktionen. Diese Tatsache ist besonders frustrierend.
Autor: William O'Neill Unabhängiger Menschenrechtsexperte der UNO für Haiti

O'Neill zeigt sich überzeugt, dass die Banden in Haiti entmachtet werden könnten. Dazu müsse das Waffenembargo durchgesetzt werden. Ohne Munition und Waffen aus den USA verlören die Gangs ihre Macht. Und jene Politiker, die mit ihnen zusammenarbeiteten, müssten flächendeckend und weltweit mit Sanktionen belegt werden.

Alle Forderungen des Menschenrechtsexperten wären eigentlich vom UNO-Sicherheitsrat abgesegnet. Doch umgesetzt sind sie nicht.

Echo der Zeit, 08.10.2024, 18:00 Uhr

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