Kein Wort zu Nawalny, Schweigen über die Truppenverlagerung in der Ukraine: In seiner gestrigen Rede zur Lage der Nation klammerte der russische Präsident Wladimir Putin Unangenehmes konsequent aus.
Dafür warf er dem Westen Umsturzversuche auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion vor und warnte vor einem Überschreiten einer «roten Linie». Als Beispiel nannte er Belarus: Dort sei unlängst ein geplantes Attentat auf Machthaber Alexander Lukaschenko vereitelt worden.
Die Geschichte stammt von Lukaschenko selber. Er erzählte in einem Interview, eine Gruppe Männer habe seine Ermordung geplant und seine Kinder entführen wollen. Hinter dem Putschversuch vermutet Lukaschenko den US-Geheimdienst CIA oder das FBI. In Moskau wurden zwei Männer festgenommen, die als Hauptorganisatoren dieses geplanten Putsches gelten. Experten beklagen, dass Beweise für die Anschlagspläne fehlten.
Es entsteht eher der Eindruck, dass hier ein paar ältere Herren in einem Diskussionsclub vor sich hin fantasieren.
Auch für Korrespondent David Nauer ist die Geschichte unglaubwürdig. «Lukaschenko hat schon viele Dinge erzählt, die schlicht nicht stimmen.» Zwar wurden im belarussischen Fernsehen Aufnahmen veröffentlicht, wo die Beschuldigten über einen geplanten Umsturz sprechen.
«Aber das Ganze macht einen sehr dilettantischen Eindruck. So hätten diese angeblichen Putschisten via Zoom oder im Restaurant über ihre Pläne gesprochen. Man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ernsthafte Putschisten so vorgehen.»
Gerüchte um Wiedervereinigung
Es sei vielmehr ein Propaganda-Geschenk für Lukaschenko. Und eine Geschichte, die Putin auf den Plan rufen könnte. Die «Frankfurter Rundschau» kommentierte nach der Rede des russischen Präsidenten, es sollte niemand überrascht sein, wenn Putin Belarus bald zur Wiedervereinigung «einlädt» und erinnerte an die Krim-Annexion.
Die Gerüchte einer «Wiedervereinigung» sind nicht neu. Sie erhielten Aufwind nach einer Aussage Lukaschenkos, er habe eine der wichtigsten Entscheidungen seiner Amtszeit getroffen, die er demnächst bekannt gebe.
«Putin möchte Belarus schon länger an Russland binden, Lukaschenko hat sich bislang aber immer dagegen gewehrt», sagt Nauer. Nun sei Lukaschenko aber stark geschwächt – wegen der Proteste nach seiner Wiederwahl letzten Sommer, und weil er vom Westen geächtet ist. «Er ist inzwischen vollkommen abhängig von russischer Hilfe. Analysten sagen, Putin könnte diesen Plan der Wiedervereinigung nun durchsetzen, weil sich Lukaschenko nicht mehr wehren kann.»
Ein Zusammenschluss stiesse in beiden Ländern nicht nur auf Zustimmung. Die Opposition in Belarus strebt eine Annäherung an Europa an. «Die Wiedervereinigung in Anführungszeichen würde den Traum eines freien, demokratischen Belarus wohl für Jahrzehnte verunmöglichen», sagt der Korrespondent.
Die Einverleibung von Belarus werde in Russland auch kaum ähnliche Euphorie auslösen wie bei der Annexion der Krim. «Belarus hat niemals diese symbolische Bedeutung wie die Krim.» Auch international ist Kritik vorprogrammiert.
Die beiden Präsidenten treffen sich heute zu Gesprächen in Moskau. Dabei soll es um einen Ausweg aus der innenpolitischen Krise in Belarus gehen. Ob dieser Ausweg eine russische Einverleibung ist, wird sich zeigen. «Möglich wäre auch, dass sich die beiden Länder nicht gleich ganz vereinigen, aber dennoch näher zusammenrücken: etwa mit einer gemeinsamen Währung oder engerer militärischer Zusammenarbeit», so Nauer.