«Es war apokalyptisch. In den Gärten standen Lastwagen, Panzer und Kisten voller Munition, die Fenster der Häuser waren eingeschlagen, die Stromleitungen hingen herunter.» So beschreibt die 50-jährige Inessa Antonenko, wie ihr Dorf Yahidne aussah, nachdem es von den Russen besetzt worden war.
Antonenko ging zusammen mit den anderen Dorfbewohnern durch die Hölle. 367 Menschen wurden von den russischen Besatzern im Keller der Dorfschule eingesperrt. Sie hatten zu wenig Luft, zu wenig Platz, zu wenig zu essen und zu trinken. Zehn Menschen gingen an den unmenschlichen Bedingungen zu Grunde, sieben wurden erschossen.
«Ich habe auch heute noch Angst»
Heute sind die Spuren der Besatzung weitgehend getilgt. Die Strasse, an der sich das Häuschen der Antonenkos befindet, ist frisch geteert, sie wird gesäumt von solarbetriebenen Strassenlaternen, am Strassenrand liegen Haufen von Schutt und Sand, vieles ist noch Baustelle.
Vor einem der Häuschen mit einem nigelnagelneuen Dach wartet die 53-jährige Zhenia. Ihr Zuhause werde isoliert und renoviert, dank eines staatlichen Programmes, sagt sie. Zhenia zeigt ihr weitläufiges Grundstück, sie unterhält eine Baumschule, junge Obstbäume stehen in langen Reihen. Alles ist sehr gepflegt.
Doch die schrecklichen Ereignisse haben auch bei Zhenia Spuren hinterlassen. «Ich habe auch heute noch Angst, nach drei Jahren. Wir fürchten uns vor jedem Rascheln, jedem Geräusch. Dein Kopf versteht zwar, dass keine Gefahr droht, aber in meinem Innern beginne ich zu zittern.»
Haustiere hat Zhenia keine mehr, ihr Hund wurde von den Besatzern erschossen, die Ferkel aufgegessen.
Das Trauma der russischen Besatzung blieb auch nach der Befreiung
Das Schulhaus, in dessen Keller die Besatzer die Dorfbevölkerung eingesperrt hatten, liegt heute verlassen da. Renoviert wurde es nicht: Es soll zu einem Erinnerungsort werden. Heute schon steht hier eine Gedenktafel mit der Aufschrift: Yahidne, 3.3.2022 bis 30.3.2022, 27 Tage.
Zhenia sagt: «Es war ein schmutziger Keller, auf einen Quadratmeter kamen drei, vier Leute. Alle hatten schon nach einer Woche geschwollene Beine, man konnte sich ja nicht strecken. Und da war dieser schreckliche Staub, die Leute husteten, es roch nach ungewaschenen Körpern, es war entsetzlich.»
Mehrere Menschen gingen im Keller zu Grunde, weitere starben nach der Befreiung: Ihre Gesundheit war zu sehr angegriffen.
Das neue Yahidne ist nicht das alte
Am 30. März 2022 verschwanden die russischen Besatzer und das Dorf wurde von den ukrainischen Streitkräften befreit. Drei Jahre später ist das Dorf ein anderes, nicht alle sind geblieben oder zurückgekehrt.
Inessa Antonenko etwa wohnt inzwischen anderswo, obwohl ihr Haus in Yahidne inzwischen vollständig renoviert ist und sie nach wie vor den Garten bestellt. Sie sagt: «Ich habe neue Tapeten, einen neuen Linoleumboden, aber es ist nicht mehr das Haus, das wir mit eigenen Händen gebaut haben und in dem unsere Energie zu spüren war.»
Denn es haben Besatzer dort gehaust, sie haben sich wie Hausherren aufgeführt, haben die Einrichtung beschädigt und beschmutzt.
Das neue Yahidne ist nicht mehr das alte. Das Gefühl von Zugehörigkeit und Sicherheit haben die Invasoren unwiederbringlich zerstört.