Was laut Völkerrecht streng verboten ist, gehört in der Ukraine zum Kriegsalltag: nämlich Angriffe auf Spitäler. Seit Kriegsbeginn zählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 2000 Attacken auf Gesundheitseinrichtungen, die zusätzlich unter der gezielten Zerstörung der Energieinfrastruktur durch Russland leiden.
Ende August sprach die WHO von einem «düsteren Meilenstein»: Noch nie habe sie in einem Konflikt mehr Attacken auf Spitäler belegen können: «Bei einem beträchtlichen Teil davon wurden schwere Waffen eingesetzt.» Und auch die Frequenz der Angriffe habe sich seit Dezember 2023 deutlich intensiviert.
Tankred Stöbe ist medizinischer Koordinator von «Ärzte ohne Grenzen» und ist aktuell in der Ukraine im Einsatz. Gegenüber SRF News erklärt er, wie er die aktuelle Situation erlebt: «Wir arbeiten unter enormen Einschränkungen», berichtet der deutsche Internist und Rettungsmediziner. Oft sei die Sicherheitslage prekär, so etwa in der südukrainischen Stadt Cherson, auf die regelmässig russisches Artilleriefeuer niedergeht.
Das Risiko minimieren – so weit es geht
In den Spitälern braucht es einen Sicherheitsraum im Keller, nach Möglichkeit werden sie auch zu Operationsräumen ausgebaut. Die Obergeschosse der Spitäler werden dagegen gemieden, denn sie sind besonders exponiert für Angriffe.
«In Cherson können wir nur an einer Seite des Spitals arbeiten, wo es weniger wahrscheinlich ist, dass Geschosse einschlagen.» «Ärzte ohne Grenzen» betreibt enormen Aufwand, um die Risiken zu minimieren «Letztlich gibt es gegen Raketenbeschuss aber keine Sicherheit», sagt Stöbe.
Gerade in der Nähe der Front im Süden und Osten der Ukraine arbeitet das medizinische Personal unter prekären Bedingungen: Die Lebensretter sind selbst an Leib und Leben gefährdet. Die WHO spricht von einer «eklatanten Geringschätzung der fundamentalen Prinzipien des humanitären Rechts».
Doch auch fernab der Frontlinie können jederzeit Raketen auf zivile Einrichtungen niedergehen. Im Juli 2024 sorgte etwa ein russischer Angriff auf ein Kinderspital in Kiew für Entsetzen:
Die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, ist enorm schwierig. «In den Frontgebieten arbeiten kaum mehr Ärzte oder Pflegende: Entweder haben sie die Region oder das Land verlassen», sagt Stöbe. Er war kürzlich selbst in Cherson. Von den eigentlich 20 Ärztinnen und Ärzten der Tagesklinik seien nur noch 8 da; die Zahl der Pflegekräfte sei von 700 auf 200 gesunken. «Die einzige Hoffnung der leitenden Krankenschwester ist, dass der Krieg zu Ende geht.»
Stöbe versuchte auch in Konfliktgebieten wie dem Sudan, Afghanistan, Syrien und Gaza, das humanitäre Elend zu lindern. Die Lage in der Ukraine sei insofern besonders, als es sich dort um einen «grossen Krieg mit langem Kriegsverlauf» handle.
Das muss aufhören! Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Gaza oder im Sudan.
Die WHO zähle mittlerweile mehr als zwei Attacken pro Tag auf Gesundheitseinrichtungen, damit würden die vulnerabelsten Menschen überhaupt getroffen: «Sie wurden bereits verletzt, suchen Hilfe und Schutz.» Aus ärztlicher Sicht sei es mit das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, wenn sie erneut verletzt oder getötet würden.
«Deswegen ist unser Appell: Das muss aufhören! Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Gaza oder im Sudan», schliesst Stobe. Das Völkerrecht müsse wieder respektiert werden: «Denn sonst gibt es in Kriegen keine Gesetze mehr.»