Zwei Tage lang hat der ukrainische Präsident in der Schweiz, in Bern und am WEF in Davos um Unterstützung für die Ukraine geworben. Auf allen Ebenen: militärisch, politisch, wirtschaftlich, humanitär.
Er hat unablässig Hände geschüttelt, für Fotos posiert, verhandelt, erklärt, zugehört. Er hat in seiner Rede in Davos den Ernst der Lage beschworen – «Wenn Sie denken, dass es hier nur um die Ukraine geht, dann haben Sie es falsch verstanden» und «Putin ist ein Raubtier, das sich nie zufriedengibt» – und er hat, trotz allem, Witze gerissen. Und er hat für seinen Auftritt stehende Ovationen erhalten. Damit hat er einmal mehr bewiesen, dass er ein Mann der grossen Bühne ist.
Auftritt zu einem kritischen Zeitpunkt
Es war der erste Besuch des ukrainischen Präsidenten in der Schweiz, seit Russland vor bald zwei Jahren im grossen Stil in der Ukraine eingefallen ist. Jede Auslandsreise ist ein Risiko und muss wohlüberlegt sein. Selenski reist in der Regel nur persönlich an, wenn er etwas für sein Land erhält.
War das auch diesmal der Fall? Sehr wahrscheinlich schon. Denn die Ukraine ist in einer äusserst schwierigen Situation: Die Hilfe – finanziell und militärisch – fliesst spärlicher als auch schon, die Lage an der Front ist schwierig, und die Aufmerksamkeit der Welt wendet sich anderen Themen zu. Man hat sich an die russischen Gräuel in der Ukraine schon beinahe gewöhnt.
Es ist ein kritischer Moment für die Ukraine. Deshalb war der Entscheid, mit einer grossen Delegation mit Selenski an der Spitze anzureisen, sicher richtig: um die Botschaft der Dringlichkeit der Unterstützung der Ukraine maximal zu verbreiten. «Wir brauchen Sie alle», sagte Selenski an die Adresse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Saal. Stoppe man Putin nicht, müsse wohl bald ganz Europa gegen ihn kämpfen.
Finanzielle Hilfe im Fokus
Bei einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warb Selenski für einen möglichst schnellen Beitritt seines Landes zum Verteidigungsbündnis. Vor über 70 globalen Wirtschaftsführern und Investorinnen erklärte er, wie wichtig Investitionen für die Ukraine sind. Denn die Wirtschaft des Landes läuft weiter, auch zu Kriegszeiten, und ist letztes Jahr sogar leicht gewachsen.
Doch um das Funktionieren des Staates und der Institutionen aufrechtzuerhalten, braucht die Ukraine finanzielle Hilfe. Von den dringend benötigten Rüstungsgütern ganz zu schweigen. Darum ging es in all den vielen bilateralen Treffen mit Staats- und Regierungschefs in Davos. Und auch um das heiss diskutierte Thema, die eingefrorenen russischen Vermögenswerte der Ukraine zukommen zu lassen.
Ein Schritt näher zu einer internationalen Allianz
Und da war natürlich auch noch das Versprechen der Schweiz, einen Friedensgipfel auszurichten. Es ist ein kleiner diplomatischer Erfolg für die Ukraine. Sie ist ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen, eine internationale Allianz zu bilden, die Kiews Überzeugung teilt, dass nur ein gerechter Frieden dauerhaft sein kann.
War Selenskis Besuch also ein Erfolg? Ja, denn mit seinem grossen Auftritt hat er eine Aufmerksamkeit erhalten, von der andere nur träumen können.