Wolodimir Selenski ist ein viel beschäftigter Mann. Er muss als Kriegspräsident sein Land gegen den mächtigen Aggressor aus dem Osten verteidigen. Und er muss die bröckelnde Unterstützung des Westens in Sachen Waffenlieferungen wieder ankurbeln. Wenn Selenski kurz vor seinem Besuch in Davos noch in Bern haltmacht, dann nicht, weil er noch etwas Zeit übrig hat. Sondern, weil er etwas erreichen will.
Die naheliegende Erklärung im Vorfeld war: Er will die Schweiz dazu bringen, doch noch Waffenlieferungen durch Wiederausfuhren zuzulassen. Aber der ukrainische Präsident weiss genau, wie heikel diese Frage in der Schweiz ist, und er weiss auch, dass die diskutierten Wiederausfuhr-Bewilligungen keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf haben würden. Deshalb hat die ukrainische Führung schon längst akzeptiert, dass in dieser Hinsicht von der Schweiz nichts zu erwarten ist.
Selenski sieht Schweizer Nutzen bei Friedensprozess
Doch Selenski ist sehr interessiert am diplomatischen Know-how der Schweiz. Und er geht offenbar davon aus, dass die Schweiz beim künftigen Friedensprozess eine Rolle spielen kann. Darauf deutete bereits ein Tweet hin, den der ukrainische Präsident heute zu Beginn seines Schweiz-Besuches abgesetzt hatte: «Ich glaube, dass die Beteiligung der Schweiz an der Friedensformel und ihre grosse Erfahrung uns unserer Vision eines gerechten Friedens näher bringen könnte.»
Nach dem Treffen mit Bundespräsidentin Viola Amherd gab diese bekannt, dass Selenski die Schweiz gebeten habe, eine Friedenskonferenz auf Regierungsstufe zu organisieren. Bereits morgen sollen die ersten Arbeiten dazu beginnen.
Für die Schweiz Chance und Risiko zugleich
Das ist zuerst einmal ein grosser diplomatischer Erfolg für die Schweiz, die in Sachen Gute Dienste in den letzten Jahren deutlich ins Hintertreffen geraten ist. Wenn das Unterfangen gelingt, könnte das die Schweiz wieder in die absolute Topliga der diplomatischen Vermittler bringen.
Grösser ist allerdings das Risiko. Denn eine Konferenz zu organisieren, an der genügend Staatspräsidenten und Regierungschefinnen teilnehmen, um den Namen Friedenskonferenz zu verdienen, dürfte in naher Zukunft eine sehr schwierige Aufgabe sein. Wenn es darum geht, auch Russland an den Konferenztisch zu bringen – und das ist für eine echte Friedenskonferenz eigentlich zwingend – dann dürfte die Aufgabe praktisch unlösbar sein. Die grosse Chance könnte deshalb auch zum Flop werden.