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Betäubung von Opfern Französische Ärzteschaft will Missbrauch frühzeitig erkennen

Nach dem Fall Gisèle Pelicot fordern Ärztinnen und Ärzte in Frankreich klare Regeln zur Diagnose von chemischer Unterwerfung und Hilfe für Opfer.

Der Fall Gisèle Pelicot hat in Frankreich eine Schockwelle ausgelöst. Gisèle Pelicot ist über zehn Jahre hinweg fast einhundertmal betäubt und vergewaltigt worden. Ihr Ehemann hatte ihr Beruhigungsmittel ins Essen gemischt. Pelicot war mit Folgeerscheinungen bei Allgemeinärztinnen, Neurologen, Urologen und Gynäkologen – niemand konnte die Ursache finden.

Das verunsichert auch die französische Ärztin Sabrina Mineira. Sie wisse zu wenig über die «soumission chimique», die chemische Unterwerfung – den Missbrauch von Medikamenten und Drogen, um ein Opfer zu betäuben, in der Absicht, es zu misshandeln. «Ich möchte wissen, welche kleinen Anzeichen darauf hinweisen können.»

Mineira arbeitet in einem Zentrum für sexuelle Gesundheitsvorsorge in einer Pariser Vorstadt. Dort hatten sie kürzlich einen heiklen Fall: «Eine Patientin hatte sich nach einem Abend unter Arbeitskollegen schlecht gefühlt, aber konnte sich an nichts erinnern. Dann war sie schwanger. Das Datum stimmte mit dem Abend überein. Deshalb war sie sicher, dass man sie betäubt und vergewaltigt hat.»

Fortbildung soll Ärzteschaft unterstützen

Aber was sollte ein Arzt oder eine Ärztin in solch einem Fall tun? Um Antworten zu finden, nimmt Mineira an einer Fortbildung teil, die das «Maison des femmes de Saint-Denis» organisiert hat, ein in Frankreich bekanntes Gesundheitszentrum mit Pioniercharakter. Die Tagung findet in den Räumen der Pariser Nationalversammlung statt. Sie ist ausgebucht. Das zeigt, wie bedeutsam das Thema in Frankreich ist.

Eine der Referentinnen ist Laila Chaouachi. Die Pharmazeutin arbeitet am Zentrum für Suchtüberwachung in Paris. Der Fall Pelicot habe in Frankreich wie ein dritter Schock gewirkt, sagt sie. Zuerst war da die MeToo-Bewegung von 2017. Danach eine Initiative unter dem Slogan «Balance ton bar» – «Stell deine Kneipe an den Pranger» –, die 2021 in Belgien begann. Damals demonstrierten viele junge Frauen gegen die Verabreichung von K.-o.-Tropfen in Bars und Diskotheken. Und nun der Fall Pelicot.

Wir wollen dazu beitragen, dass kein Opfer, aber auch kein Arzt mehr alleingelassen wird.
Autor: Laila Chaouachi Pharmazeutin

«Ein Ergebnis des Prozesses von Avignon ist die Mobilisierung der Ärzteschaft. Madame Pelicot ist von Arzt zu Arzt geirrt. Nun haben viele Angst, sie könnten die Diagnose der chemischen Unterwerfung übersehen. Der Wunsch nach Fortbildungen ist gross. Wir wollen dazu beitragen, dass kein Opfer, aber auch kein Arzt mehr alleingelassen wird», sagt Chaouachi.

Laila Chaouachi und ihre Kollegen haben eine erste Telefonzentrale gegründet, wo Opfer und Ärztinnen Hilfe und Informationen finden können. Die Plattform erklärt zum Beispiel, welche Medikamente zur chemischen Unterwerfung missbraucht werden können und wie sich so etwas beweisen lässt.

Haare sind wie ein Kalender

Die Spuren in Blut und Urin verschwinden schon nach wenigen Tagen, warnt die Pharmazeutin in ihrem Vortrag. Die Haare aber seien eine Art Langzeitgedächtnis. «Sie alle tragen ihre Arzneimittelakte auf dem Kopf. Sie müssen aber mindestens einen Monat warten, bis die Chemikalien nachweisbar sind. Über die Haare können wir die Aufnahme sogar datieren.»

Aber nur Fachlabore können eine solche Analyse vornehmen. Und die kostet oft an die 1000 Euro. Die Ärztekammer fordert, dass die Kosten nach ärztlicher Verschreibung von der Krankenversicherung übernommen werden. Das könnte die Opfer ermutigen, Klage einzureichen und ihre ärztliche Versorgung verbessern.

SRF 4 News, 26.11.2024, 10:50 Uhr

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