Die Linken-Fraktionschefin im deutschen Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat am Wochenende ihre Bewegung «#aufstehen» lanciert. Wagenknechts Bewegung wird unterstützt von links, aber auch kritisiert von links.
Einer der Kritiker ist einer der Vizepräsidenten der SPD, Ralf Stegner.
SRF News: Wagenknecht will jene abholen, die aus Unmut rechts wählen würden, aber eigentlich soziale Anliegen hätten. Dagegen kann man doch aus linker Sicht nichts haben?
Ralf Stegner: Nein. Wir müssen dringend für progressive Mehrheiten sorgen, um dem Rechtstrend überall in Europa zu begegnen sowie den Nationalisten und jenen, die gegen Europa sind, die Stirn zu bieten. Das kann man allerdings nur, wenn man proeuropäische Positionen hat. Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und andere, die hinter dieser linken Sammlungsbewegung stehen, sind, was ihre Positionen zu Europa, zur Integration und zu Flüchtlingen angeht, alles andere als progressiv oder links. Es kommt auf die Inhalte an.
Wir sollten die progressiven Parteien nicht schwächen, sondern stärken.
Ganz abgesehen davon: Wir sollten die progressiven Parteien nicht schwächen, sondern stärken, und wir müssen mehr zusammenarbeiten. Eine Sammelbewegung mit Leuten an der Spitze, die Ego-Trips veranstalten, ist keine Lösung.
Das Problem ist also nicht die Bewegung, sondern Wagenknecht?
Bewegung heisst, dass Parteien über ihr eigenes Potenzial hinaus auch andere Menschen ansprechen. Das ist notwendig. Für Themen wie globale Gerechtigkeit, ein soziales Europa oder Friedens- und Abrüstungspolitik kann man Menschen begeistern, auch junge. Aber das funktioniert eben nicht, indem sich jemand mit fragwürdigen Positionen an die Spitze stellt und sagt: Nun kommt mir mal nach, wir machen das schon.
Man muss den Rechtspopulisten und Nationalisten die Stirn bieten.
Die Bewegung ist eine gute Einladung, um Debatten zu führen im progressiven Lager. Aber es funktioniert nicht über einzelne, die sagen, «hier geht es lang», sondern es müssen alle Parteien an sich arbeiten – nicht nur die SPD, sondern auch die Grünen und die Linken.
Sollte die SPD nicht mit gutem Beispiel vorangehen und das Parteiengezänk mit der Linken ablegen, um eine breitere Masse zu erreichen?
Wir wollen in keiner Weise mit den linken Parteien streiten, sondern wir arbeiten an uns selbst. In der SPD haben wir einen Erneuerungsprozess begonnen. Da geht es um Themen wie die Arbeitnehmerrechte in einer digitalen Arbeitswelt, den solidarischen Sozialstaat in Zukunft oder wie wir dafür sorgen können, dass Menschen nicht mehr flüchten müssen.
Beim Wahlvolk kommt das aber nicht an, wenn man die jüngsten Umfragen anschaut. In diesen liegt die AfD vorne.
Zum einen muss man praxistaugliche Antworten für die Alltagsprobleme der Menschen haben. Und die heissen nicht: Meine Stadt oder mein Dorf wird islamisiert. Sondern die Fragen lauten: Kann ich meine Miete bezahlen? Reicht die Rente? Wie ist es mit dem Zugang zu Bildung oder gerechten Steuern?
Man sieht ja in den USA bei Präsident Donald Trump, was herauskommt, wenn Menschen gegen ihre Interessen wählen.
Zum anderen muss man den Rechtspopulisten und Nationalisten die Stirn bieten. Wir dürfen nicht ihre Parolen oder ihre Sprache übernehmen, wie es die CSU, aber auch manche Linksnationalisten tun. Man sollte nicht auf Angst und Abschreckung setzen, sondern auf sozialen Zusammenhalt und auf Gerechtigkeit im Kleinen wie im Grossen. Daran arbeitet die SPD. Und das sollte die Linkspartei vielleicht auch.
Laut Politologen ist es schwierig, links der Mitte Menschen für eine Bewegung zu gewinnen. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube nicht. Man sieht ja in den USA bei Präsident Donald Trump, was herauskommt, wenn Menschen gegen ihre Interessen wählen. Nichts wird für Menschen besser, die aus Protest wählen. Sondern sie wollen zum Beispiel am Wohlstand beteiligt werden. Und sie möchten eine Perspektive, die unseren Kindern und Enkeln auch Frieden und Wohlstand erlaubt.
Wir sind mit den demokratischen Parteien gut gefahren.
Das wird nur ein gemeinsam handelndes, soziales Europa schaffen und nicht eine rückwärtsgewandte, nationalistische, autoritäre, intolerante Partei, die sich gegen Minderheiten wendet. Dagegen muss man etwas tun. Es geht um praktische Arbeit in den Gemeinden, im Bundesland oder auf Bundesebene, und zwar in einer Sprache, welche die Menschen verstehen.
In Frankreich ist der Präsident aus einer Bewegung heraus geboren worden. Ist das Denken in Parteien nicht passé?
Die europapolitischen Positionen von Emmanuel Macron finde ich sehr unterstützenswert. Seine Innenpolitik halte ich hingegen für falsch. Es handelt sich um eine neoliberale Politik, die nicht im Interesse der Menschen ist. Deswegen finde ich, dass wir mit den Parteien der Demokratie gut gefahren sind. Man schaue sich Länder an, wo es keine demokratischen Parteien gibt, oder Amerika, wo man Millionär sein muss, um in Ämter gewählt zu werden. So etwas wünschen wir uns nicht für Deutschland, und deshalb muss man die Parteien reformieren. Daran arbeiten wir. Mit demokratischen Parteien geht es besser als ohne.
Verpufft Wagenknechts Idee, oder ist sie immerhin PR-mässig nicht schlecht?
Vielleicht ist es die Einladung dafür, die Gespräche untereinander zu intensivieren, leidenschaftlich zu diskutieren und in den Parteien zusammenzuarbeiten. Dann hat es vielleicht etwas genützt.
Das Gespräch führte Simon Leu.