«Streit beigelegt – Union und SPD schnüren Asylpaket», hiess es, nachdem sich die deutsche Regierungskoalition auf Transitzentren für Migranten und Flüchtlinge an bayerischen Grenzübergängen verständigt hat. «Streit vertagt – Union und SPD verschaffen sich Zeit», könnte man Gero Neugebauers Diagnose zusammenfassen. Denn von deutscher Gründlichkeit ist beim Asylkompromiss wenig zu spüren. Der deutsche Politikwissenschaftler erklärt, welche Fallstricke lauern.
Widerwillen bei den europäischen Partnern: Der Asylkompromiss steht und fällt mit der Bereitschaft der involvierten EU-Staaten, das deutsche Vorgehen zu stützen. Geplant ist ein beschleunigtes Verfahren an der deutsch-österreichischen Grenze für jene Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Sie sollen innert 48 Stunden zurückgewiesen werden. Dafür braucht es allerdings Abkommen mit den betroffenen EU-Staaten – die Begeisterung hält sich bei ihnen in Grenzen. Neugebauer sieht darin auch den wunden Punkt des Asylkompromisses. Die SPD bestehe auf «rechtsstaatlich einwandfreie» Verfahren; ohne entsprechende Rücknahmeabkommen werde aber EU-Recht geritzt.
«Wortgeklingel» statt nachhaltiger Lösung: Für Neugebauer hat die Einigung der Koalitionsparteien einen grundlegenden Konstruktionsfehler: «Das war Wortgeklingel zwischen den Unionsparteien.» Es sei eher darum gegangen, das Gesicht zu wahren, als ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren zu finden, das auch von anderen europäischen Ländern akzeptiert werden könne. Die europäische Lösung, von der Kanzlerin Merkel immer geredet habe, sei nicht erreicht worden. Innenminister Seehofer spielte den Ball bereits weiter. Er sehe die Verantwortung für Rücknahmevereinbarungen mit anderen EU-Ländern bei Kanzlerin Angela Merkel, liess er gestern verlauten.
«Flötentöne» der Sozialdemokraten: Als CDU und CSU am Montagabend überraschend das Kriegsbeil begruben, war es an der SPD, den Koalitionsfrieden zu bestätigen. Das Problem: Noch vor drei Jahren hatte sie sich mehr als deutlich gegen Transitzentren an Deutschlands Grenzen ausgesprochen.
Gestern nun die erlösende Nachricht für die Unionsparteien: Die SPD lenkte ein. Verbunden mit der Hoffnung, so SPD-Vizekanzler Olaf Scholz, dass das «Sommertheater» damit beendet sei. Nationale Alleingänge werde es aber keine geben, schob SPD-Chefin Andrea Nahles nach. Zudem hat man den verfemten Begriff der «Transitzentren» aus dem Vokabular verbannt. Sie heissen neu «Transferzentren». Für Neugebauer bleibt ein Nachgeschmack: «Die Fragen, die vorher so stark thematisiert worden sind, sind mit der Veränderung der Begriffe auf einmal nicht mehr relevant.»
Das «Sommertheater» zu verlängern, kann und will sich die geschwächte Sozialdemokratie offenbar nicht leisten. Ganz zu schweigen von Neuwahlen, sollte die Koalition an der Flüchtlingsfrage zerbrechen. «Selbst aus dem linken Parteiflügel sind nur Flötentöne zu hören», sagt Neugebauer. Vor allem kranke die Partei aber daran, dass sie aufgrund der alles dominierenden Asyldebatte ihre eigenen Themen nicht mehr medial platzieren könne: «Wer das nicht schafft, ist politisch gesehen tot.» Insofern kommt der SPD ein wenig Ruhe in Berlins brisantestem Dossier entgegen.
Das Grummeln im Untergrund: Die Regierungskoalition in Berlin hat sich mit dem Asylkompromiss erst einmal in die Sommerferien gerettet. Danach stehen mit den Landtagswahlen in Hessen und in Bayern wegweisende Tage an. Die Bayern-Wahl hat die CSU dazu bewogen, den offenen Bruch mit der Schwesterpartei CDU zu riskieren. Sie fürchtet, von der AfD rechts überholt zu werden – und damit ihre Allmacht im Freistaat zu verlieren.
«Der Ausgang dieser Wahlen wird mitentscheiden, inwieweit die Verhältnisse in Berlin stabil sind», sagt Neugebauer. Bis gewählt wird, dürfte es auch mehr Gewissheit in der europäischen Frage geben: Sind die EU-Staaten doch noch bereit, Berlin zu stützen? «Die Glaubwürdigkeit der gegenwärtigen Vereinbarung hängt davon ab, ob es Rückführungsmöglichkeiten geben wird», sagt Neugebauer. Er schliesst: «Es grummelt weiter im Untergrund.»