Die Hamas im Gazastreifen inszeniert jede Freilassung ihrer Geiseln als Machtdemonstration. Jede dieser Freilassungen seit Beginn der Waffenruhe am 19. Januar war auf ihre Art schockierend. Aber immerhin schienen die Geiseln äusserlich in einem relativ guten Zustand.
Ganz anders heute: die drei Männer, welche die Hamas auf einer Bühne in Deir el Balah vorführte, waren abgemagert, ihre Gesichter eingefallen. «Wie Holocaust-Überlebende», schrieben Israeli schnell einmal auf den sozialen Medien, und Premier Netanjahu drohte der Hamas umgehend mit Konsequenzen.
Unmenschliche Bilder kommen zu einer heiklen Zeit
In Ramallah im Westjordanland fürchteten wartende Angehörige, Israel werde die Freilassung palästinensischer Gefangener aufgrund der Bilder der abgemagerten Geiseln noch stoppen. Aber die Wagen des Roten Halbmondes mit den freigelassenen Gefangenen fuhren wie versprochen vor. Auch diese waren abgemagert, einige konnten nicht selbst gehen, hatten sogar Verletzungen und mussten ins Spital gebracht werden. Von den 183 palästinensischen Gefangenen, welche Israel freiliess, sass die überwiegende Mehrheit ohne Anklage im Gefängnis.
Die Bilder offensichtlicher Unmenschlichkeit kommen zu einem heiklen Zeitpunkt. Die Hälfte der ersten Phase der Waffenruhe ist vorbei: Sie dauert noch drei Wochen, danach soll die zweite Phase in Kraft treten. Über diese wird im Moment verhandelt. In dieser zweiten Phase müsste die Hamas demnach 60 weitere Geiseln freilassen, von denen 24 noch am Leben sein sollen. Im Gegenzug müsste Israel seine Armee vollständig aus dem Gazastreifen abziehen.
Inszenierung provoziert Israel
Noch hat Netanjahu nicht öffentlich präzisiert, welche Konsequenzen er der Hamas angedroht hat für ihre offensichtlich schlechte Behandlung der Geiseln. Aber es ist klar: Die Hamas nutzt jede Geiselfreilassung zur Inszenierung ihrer Stärke. Was Israel vor Augen führt, dass Netanjahu sein Kriegsziel nicht erreicht hat: der totale Sieg über die Hamas. Die Hamas provoziert damit die Weiterführung des Krieges.
Und Netanjahu muss nur auf diese Bilder verweisen, um zu rechtfertigen, warum der Krieg weitergehen müsse. Wer die Opfer dieses Krieges sind, zeigen, einmal mehr, die Bilder, welche sich heute ins kollektive Bewusstsein eingebrannt haben – auf beiden Seiten.