Am Eingang der Universität von Kabul hängen kleine Plakate mit den neuen Kleidervorschriften für Studentinnen und Studenten. Darauf steht, Frauen und Männer dürften fortan nur «muslimische» Kleider tragen.
In der Praxis sehen die Richtlinien leicht anders aus. Zwar tragen alle Studentinnen ein Kopftuch. Doch sind diese in allen Farben zu sehen, sowie auch die Kleider der Studierenden. Die Studentinnen loten ihren Spielraum aus.
Eine Studentin wurde auf dem Weg zur Universität von einem Taliban angehalten, weil sie weisse Socken trug. Das sei offenbar nicht mehr erlaubt. Seither gehe sie mit gelben Socken in die Uni. Das wurde noch nicht beanstandet.
Schlechtere Unterrichtsqualität
Solcher Ungehorsam braucht viel Mut in Afghanistan. Doch in den Gesprächen mit den Studentinnen wird schnell klar: Die neuen Kleidervorschriften sind sekundär. Sie bemängeln, dass die Qualität des Unterrichts nachgelassen habe.
Viele ihrer Professoren hätten nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen. Ihnen fehlten nun die Spezialisten für bestimmte Fächer. Der Unterricht werde viel oberflächlicher behandelt, sagt diese Studentin. Eine Professorin, die nicht gegangen ist, erklärt, dass sie wegen des Lehrkräftemangels doppelt so viele Stunden unterrichten müsste wie zuvor.
Trennung nach Geschlecht
Der Unterricht ist nach Geschlechtern getrennt. Selbst das Lehrpersonal hätte nach dem Willen der de facto Regierung der Taliban nach Geschlechtern getrennt werden müssen. Doch das habe nicht funktioniert, sagt die Professorin. Es gäbe schlicht zu wenig weibliches Lehrpersonal dafür.
Die Professorin spricht von einem Wandel in den Klassenzimmern. Ein Wandel der Mentalitäten. Lehrpersonen sowie Studierende seien heute nicht mehr mit derselben Energie dabei wie früher. Viele Studentinnen seien desillusioniert, kämen nur noch zum Unterricht, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf falle. Nicht, weil sie wirklich etwas lernen wollten.
Sittenministerium teilt andere Ansichten
Ganz so schwarz wie die Professorin will Sadiq Aaquif Mujahir das Bild nicht zeichnen. Er ist der Sprecher des neu geschaffenen Ministeriums für Tugend und Laster, welches die neuen Schulvorschriften herausgab.
«Sehen Sie, jedes System hat Vor- und Nachteile», sagt der Regierungsvertreter. Seit der Einführung der neuen Gesetze, seien sexuelle Übergriffe an Frauen markant zurückgegangen, sagt der Sprecher des Sittenministeriums.
Die Reisefreiheit der Frauen wurde eingeschränkt. Ohne männliche Begleitung dürfen sich Frauen heute nicht mehr als rund 80 Kilometer von zu Hause entfernen. Auch dabei gehe es nur um die Sicherheit der Frauen, beteuert der Sprecher. Sein Ton ist betont gelassen. Der Regierungsvertreter weiss, dass seine Haltung im Westen auf wenig Verständnis stösst.
Belästigungen durch fremde Männern hätten in der Tat abgenommen, bestätigen die Studentinnen vor der Kabul Universität. Dafür aber werden sie umso mehr von den Taliban von Kopf bis Fuss kontrolliert. Schikane sei das, sagt eine weitere Studentin vor der Universität.
Für diese Regierung sei es okay, wenn eine Frau auf der Strasse betteln müsse. Sie lege ihr aber alle möglichen Steine in den Weg, wenn sie studieren wolle, sagt die Studentin.