Nach dem Absturz einer Boeing 737 MAX 8 in Äthiopien haben zahlreiche Länder Flugverbote für diesen Flugzeugtyp verhängt. Auch in ganz Europa gilt das Flugverbot. Der Aviatik-Experte Jens Flottau hält dies für eine Überreaktion der Behörden. Wieso, begründet er im Gespräch.
SRF News: Wie kommen Sie zum Schluss, dass die Flugverbote für die Boeing 737 Max 8 eine Überreaktion darstellen?
Jens Flottau: Aus dem Absturz in Äthiopien vom letzten Sonntag lassen sich überhaupt keine Rückschlüsse auf die Absturzursache ziehen. Noch sind die Aufzeichnungen des Stimmenrekorders und der Blackbox nicht ausgewertet. Die Flugverbote wurden einzig aufgrund des grossen öffentlichen Drucks verfügt. Sachlich sind sie nicht gerechtfertigt.
Trotzdem: Am Sonntag stürzte bereits zum zweiten Mal innert kurzer Zeit eine 737 Max 8 nach dem Start ab. Ist es da nicht verständlich, dass Vorsicht und Sicherheit am stärksten gewichtet werden?
Tatsächlich kommt die Sicherheit immer an erster Stelle. Aber wenn schon hätte man die Flotte gleich nach dem Absturz der indonesischen Lion-Air-Maschine im Oktober am Boden behalten müssen.
Bei einem Flugzeugabsturz spielt immer eine Vielzahl an Faktoren mit.
Bei diesem ersten Absturz drückte der Bordcomputer laut den Unfallermittlern die Nase des Flugzeugs automatisch nach unten, während die Crew versucht habe, sie nach oben zu ziehen. Deutet das darauf hin, dass die Computertechnik die Piloten überfordern kann?
In diesem Fall waren die Piloten ganz klar überfordert. Sie wussten zudem nicht, wie sie den Computer ausschalten konnten – was per Standardverfahren sehr einfach gegangen wäre. Es ist deshalb falsch zu sagen, ein Fehler an einem System sei an einem Absturz schuld. Es ist immer eine Vielzahl an Faktoren, die bei einem Flugzeugabsturz zusammenspielen.
Von der Boeing 737 Max 8 sind insgesamt 5000 Exemplare bestellt. Wie sehr schaden die jetzigen Probleme dem Hersteller Boeing wirtschaftlich?
Es ist kurzfristig sicher ein riesiger Imageschaden und eine Katastrophe für Boeing, wenn die 737 Max 8 in Europa nicht mehr fliegen darf. Der Schock sitzt tief und man wird viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Maschine wiederherzustellen.
Die Produktion von Boeing und Airbus ist auf Jahre hinaus ausverkauft.
Auch wenn kurzfristig Schadenersatzforderungen eingehen und sich Rechtsstreitigkeiten anbahnen werden: Langfristig wird für Boeing kaum ein grosser wirtschaftlicher Schaden entstehen. Man muss sich bewusst sein: Die Produktion der beiden grossen Hersteller Boeing und Airbus in diesem Flugzeug-Segment ist auf Jahre hinaus ausverkauft. Und wer Flugzeuge haben will, hat kaum eine andere Wahl, als sich für einen der beiden Hersteller zu entscheiden.
Das Gespräch führte Kevin Capellini.