Der Brand in der Kathedrale Notre-Dame hat den hölzernen Originaldachstuhl zerstört. Das meistbesuchte historische Monument Europas soll nun wiederaufgebaut werden. Der ETH-Professor Stefan Holzer ist spezialisiert auf historischen Holzwerkbau. Er erläutert die nächsten Schritte in der Rekonstruktion der Notre-Dame.
SRF News: Sie haben sich beruflich oft mit Dachstühlen wie dem in der Notre-Dame beschäftigt. Haben Sie vorgestern beim Brandbeginn genau drauf geachtet, wann welches Element Feuer gefangen hat?
Stefan Holzer: Live mitzuverfolgen wie der Führungsdachreiter einstürzt, war erstmal ein Schock für mich. Tatsächlich war ich überrascht, dass der ganze Dachstuhl so schnell Feuer fing, da es normalerweise eine Weile dauert, bis so ein Balken brennt.
Präsident Macron hat noch letzte Nacht den Wiederaufbau versprochen. Wie wichtig ist ein solcher Wiederaufbau?
Notre-Dame ist neben dem Eiffelturm das Symbol schlechthin für Paris, und es verbinden sich 800 Jahre Geschichte damit: nicht nur die Geschichte des Mittelalters als religiöser Mittelpunkt von Frankreich, sondern auch die Geschichte der Französischen Revolution. Das ist ein zentraler Identifikationspunkt für die ganze Gesellschaft, für Millionen von Touristen. Es wird auf jeden Fall der Wunsch oder auch die Forderung entstehen, das Monument möglichst originalgetreu wiederaufzubauen.
Ist es überhaupt möglich, alle diese spezifischen Spuren der Vergangenheit vollständig und originalgetreu wiederaufzubauen?
Eine vollständige Rekonstruktion wird man in dem Fall wahrscheinlich gar nicht versuchen. Man wird sicherlich ein Dach in einer feuersicheren Konstruktion wiedererrichten, das natürlich die gesamte Silhouette der Kathedrale wiederherstellt.
Die Originalsubstanz ist stark beschädigt. Worauf müssen die Spezialisten achten, damit die Geschichte beziehungsweise die Ausstrahlung der Kathedrale erhalten bleibt und trotzdem die Rekonstruktion möglich ist?
Als nächstes erfolgt die Sicherung der Brandruine. Es ist wichtig, möglichst schnell ein Notdach auf die Kathedrale zu bauen, damit die Witterungseinflüsse nicht einen noch grösseren Schaden anrichten. Dann wird man versuchen, lose Teile, die nicht mehr ganz standsicher sind, zu identifizieren und die Löcher in den Gewölben zu schliessen. Dann kann man in Ruhe eine Schadenskartierung im Einzelnen vornehmen und überall dort Teile auswechseln, wo dies getan werden muss.
Eine sehr aufwändige Sache. Wie lange wird es dauern, bis die Notre-Dame für die Touristen wieder zugänglich sein wird?
Das ist natürlich sehr schwer einzuschätzen, weil ich auch nicht weiss, was das Schadenausmass im Einzelnen ist. 1997 ist in Turin die Grabtuch-Kapelle abgebrannt, da hat der Wiederaufbau 20 Jahre gedauert. Bei der Kathedrale Notre-Dame wird das nicht ganz so lange dauern, aber man wird sich sicher auf etliche Jahre Renovierungs- und Reparaturarbeiten einstellen müssen.
Das Gespräch führte Cornelia Boesch.