Der Anlass verdiente die Bezeichnung historisch. Nach einer rund zweimonatigen Pause stimmte das Unterhaus zum zweiten Mal über das britische Scheidungsabkommen mit der Europäischen Union vom letzten November ab.
Beim ersten Anlauf im Januar hatte Premierministerin Theresa May eine Niederlage von einmaligen Ausmassen kassiert. Und jetzt versenkten die Abgeordneten die Vorlage abermals, diesmal mit 391 zu 242 Stimmen; also hochkant – und das nur 17 Tage vor dem bisher gesetzlich verankerten Austrittsdatum.
Mechanische Routine
Doch die Debatte fühlte sich keineswegs historisch an. Allzu oft hatte Theresa May ihre immer gleichen Argumente schon vor demselben Publikum vorgebracht. Dass sie diesmal überdies stockheiser war, machte ihr niemand zum Vorwurf, aber es bestätigte den Eindruck einer ausgelaugten Regierung am Ende ihrer Kräfte.
May hatte, nach ihrer ersten Niederlage, rechtsumkehrt gemacht. Nun unterstützte sie selbst den Antrag, sie möge zurück nach Brüssel gehen, um die Regelungen über die Unsichtbarkeit der irischen Grenze – den so genannten Backstop – gänzlich neu auszuhandeln.
Vergeblich wiesen die EU selbst und das betroffene Irland darauf hin, dass der Backstop weder ein Verfallsdatum habe noch einseitig von den Briten gekündigt werden könne. Das wäre widersinnig gewesen. Nur eine einvernehmliche, permanente Einigung auf ein Handelsverhältnis, das keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Partner Irland erfordere, könne die hybride Zollunion (den Backstop) ersetzen.
Zu viel versprochen
Einmal mehr hatte London die Hausaufgaben nicht gemacht. Unbeschwert schwärmten Befürworter eines bedingungslosen Brexit darüber, dass die EU immer erst im letzten Moment einlenke; man müsse einfach hart bleiben. Der Umstand, dass es hier nicht nur um die Integrität des Europäischen Binnenmarktes, sondern auch um den nordirischen Friedensprozess ging, spielte keine Rolle – May und ihre Minister versprachen das Blaue vom Himmel. Am Montagabend in Strassburg dämmerte die Realität. Nicht in den Devisenmärkten, die das britische Pfund kurzfristig hochjubelten, aber in den Hauptquartieren der Brexit-Anhänger.
Quo vadis?
Die «Zugeständnisse» der EU erwiesen sich im grellen Tageslicht als geringfügig. Als der britische Generalstaatsanwalt dies am Dienstag bestätigte, distanzierten sich die nordirischen Verbündeten von Theresa May, kurz darauf auch die konservativen Brexit-Befürworter.
Und jetzt? Eine Verschiebung des Austrittstermins vom 29. März auf den 23. Mai ist wohl unvermeidlich. Brüssel will nicht erneut verhandeln. Also müssen sich die gewählten Politiker im britischen Unterhaus endlich zusammenraufen, über den Kopf der geschwächten Premierministerin hinweg. Braucht es dazu eine Neuwahl oder ein zweites Referendum? Das steht in den Sternen, aber der vertragslose Zustand und der damit verbundene Absturz ins Chaos wird tunlichst vermieden werden.