Nach der erneuten Ablehnung des Austrittsvertrags durch das britische Unterhaus herrscht Ratlosigkeit. Einer, der das Hin und Her aus der Nähe erlebt, ist Felix Dane, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in London. Er sieht die Chancen auf eine Einigung mit Brüssel bei 50 Prozent.
SRF News: Warum ist Theresa May aus Ihrer Sicht wieder gescheitert?
Felix Dane: Das Scheitern war vorprogrammiert. Im britischen Parlament gibt es keine Mehrheiten für irgendetwas. Bei der gestrigen Abstimmung haben sich jene, die gar keinen Brexit wollen mit jenen zusammengetan, die einen sehr harten Brexit wollen. Entsprechend deutlich war die Ablehnung des mit der EU ausgehandelten Vertrags.
Schon heute Abend sollen die Abgeordneten darüber abstimmen, ob Grossbritannien gänzlich ohne Vertrag aus der EU ausscheiden soll. Wie werden sie entscheiden?
Wahrscheinlich ist ein Nein zu einem Brexit ohne Austrittsvertrag derzeit das einzige, worauf sich das Unterhaus einigen kann. Offen bleibt dann aber, wie es weitergehen soll.
Grossbritannien weiss einmal mehr nicht, wie stark es sich dem europäischen Kontinent politisch annähern soll – wie das in den letzten 1000 Jahren immer wieder der Fall war.
Würde es etwas bringen, das Austrittsdatum vom 29. März auf Ende Mai zu verschieben?
Die Gemengelage würde sich in den zwei Monaten wohl kaum grundsätzlich ändern – und auch der Deal, der auf dem Tisch liegt, bleibt der gleiche. Vielleicht käme der eine oder andere Abgeordnete in den zwei Monaten doch noch zur Räson, dass dieser Deal besser ist als ein ungeordneter Austritt. Auch dürfte die britische Wirtschaft ihren Druck auf die Parlamentarier nochmals verstärken, dem Deal zuzustimmen.
Durch ein Verschieben wäre die britische Politik für weitere Wochen quasi gelähmt. Das würde in Grossbritannien wohl kaum jemanden begeistern...
Das sicher nicht. Die britische Politik ist schon seit zwei Jahren praktisch ausschliesslich von der Brexit-Diskussion dominiert, viele wichtige Politikbereiche erleben einen Stillstand. Grossbritannien befindet sich in einer Sinnkrise: Es weiss einmal mehr nicht, wie stark es sich dem europäischen Kontinent politisch annähern soll – wie das in den letzten 1000 Jahren immer wieder der Fall war. Diese Sinnkrise wird man kaum in den zwei Monaten der Fristverlängerung bewältigen können.
Auch mit einem zweiten Referendum wird die Spaltung des Landes nicht beendet.
Könnte ein neues Referendum Dynamik in die verfahrene Situation bringen?
Ein Referendum wäre wohl auch für die EU ein Grund, um die Austrittsfrist wesentlich zu verlängern. Doch auch mit einem zweiten Referendum wird die Spaltung des Landes in Befürworter und Gegner eines EU-Austritts nicht beendet. Denn es ist keine Mehrheit in Sicht, die für «Remain», also für den Verbleib in der EU, stimmen würde. Ausserdem würde es Monate dauern, bis ein solches Referendum über die Bühne wäre. Zudem würde sich die knappe Mehrheit der Brexit-Befürworter des ersten Referendums betrogen fühlen, falls die «Remainers» das zweite Referendum doch gewinnen würden. Ein zweites Referendum würde also vielleicht das Brexit-Problem lösen, dem Land aber nicht unbedingt guttun.
Wie gross ist die Chance, dass Grossbritannien und die EU irgendwie doch noch zu einem gemeinsamen Abkommen finden?
Die liegt bei 50 Prozent – und ebenso hoch ist die die Wahrscheinlichkeit, dass ein tragischer politischer Fehler passiert. Es wäre das schlimmste Szenario von allen, wenn man nicht innert der vorgegebenen Frist eine Einigung schafft und vertragslos aus der EU fallen würde.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.