Im Sudan tobt seit April letzten Jahres ein brutaler Bürgerkrieg. Mehr als elf Millionen Menschen wurden bereits vertrieben. Hunger und Krankheiten breiten sich im Land aus. Marie-Aure Perreaut von Ärzte ohne Grenzen hat vor Ort mit lokalen Behörden und Kriegsparteien über die humanitäre Hilfe verhandelt. Sie ist kürzlich aus dem Sudan zurückgekehrt.
SRF News: Wie ist die humanitäre Situation in der Region Gedaref im Südosten des Sudans?
Marie-Aure Perreaut: Gedaref beherbergt mittlerweile eine Million intern Vertriebene, so viele wie in keiner anderen sudanesischen Region. Diese Menschen haben keinen Zugang zum Allernotwendigsten: Essen, Wasser, sanitäre Einrichtungen oder medizinische Versorgung.
Im August ist Cholera ausgebrochen und weitere Krankheitsausbrüche dürften folgen.
Vor Ort sind aber nur sehr wenige Organisationen tätig und die Hilfe für die Vertriebenen ist deshalb kaum organisiert. Es ist nicht wie in anderen Krisenregionen, wo es zentrale Lager gibt. Die Vertriebenen sind weit verstreut in leerstehenden Gebäuden oder unter freiem Himmel – ohne Zelte oder Blachen, die sie in der Regenzeit schützen. Bereits im August ist Cholera ausgebrochen und weitere Krankheitsausbrüche dürften in den nächsten Wochen folgen.
Von aussen betrachtet, kämpfen die sudanesische Armee und die Rapid Support Forces gegeneinander. Doch wie präsentiert sich der Konflikt vor Ort?
Wie in den meisten Konflikten ist die Situation viel komplexer: Internationale Akteure mischen mit und sowohl auf regionaler wie lokaler Ebene gibt es eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen, Milizen oder Bürgerwehren, die ständig wechselnde Allianzen bilden. Das erschwert unsere Arbeit. Denn wir müssen mit einer wachsenden Zahl von Akteuren verhandeln, um unsere Sicherheit zu gewährleisten und um überhaupt Zugang zu erhalten zu Kranken und Verletzten.
Aussergewöhnlich ist am Sudan dieses ausgesprochene Desinteresse der internationalen Gemeinschaft.
Wer sind die unterschiedlichen Akteure, mit denen Sie verhandeln?
Als medizinische Organisation verhandeln wir zunächst mit dem Gesundheitsministerium. Und dann eben auch mit einer Vielzahl von lokalen Machthabern, Behörden und Chefs von Milizen und Bürgerwehren. Nur diese können uns den Zugang zu den Vertriebenen ermöglichen.
Wir haben grosse Schwierigkeiten, die Millionen von Menschen in Khartum medizinisch zu versorgen.
Wir definieren mit ihnen dann rote Linien, die eingehalten werden müssen: die Sicherheit unseres Personals, aber auch der ungehinderte Transport von dringend benötigtem Material. Trotzdem haben wir seit Kriegsbeginn grosse Schwierigkeiten, die Millionen von Menschen, die in der Hauptstadt Khartum festsitzen, überhaupt zu erreichen, um sie medizinisch versorgen zu können.
Was sind weitere Herausforderungen in diesen Verhandlungen?
Bürokratische Hürden werden immer stärker aufgebaut. Zum Beispiel beim Ausbruch von Cholera in Gedaref. Sie kann im Vergleich mit anderen Krankheiten eigentlich relativ einfach bekämpft werden. Aber dafür benötigen wir unter anderem Material und Medikamente. Wenn wir diese aber erst nach sechs Monaten einführen dürfen, erschwert das unsere Arbeit und unsere Möglichkeiten Leben zu retten.
Aussergewöhnlich im Sudan ist das ausgesprochene Desinteresse der internationalen Gemeinschaft.
Sie waren schon in Äthiopien, Kongo und im Gazastreifen tätig. Wie ist die Situation im Sudan, verglichen mit diesen Ländern?
Es ist schwierig, unterschiedliche Konfliktgebiete zu vergleichen. Überall ist es gefährlich. Aussergewöhnlich ist im Sudan aber dieses ausgesprochene Desinteresse der internationalen Gemeinschaft und auch der Geldgeber. In Gedaref habe ich fast keine humanitären Organisationen angetroffen. Da wird nicht den Erfordernissen entsprechend mobilisiert, weil dafür auch die finanziellen Mittel fehlen.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.