Der Krieg in Sudan dürfte sich in den nächsten Monaten verschärfen – mit dem Ende der Regenzeit wird ein Anstieg der Gewalt erwartet. Laut der UNO handelt es sich derzeit um den brutalsten Krieg der Welt. Inzwischen wird von 150’000 Toten ausgegangen. Bettina Junker, Geschäftsleiterin des UNO-Kinderhilfswerks Unicef, hat die Region vor kurzem besucht.
SRF News: In Sudan tobt seit über einem Jahr ein Krieg zwischen der Armee und paramilitärischen Milizen. Welche Situation haben Sie vor Ort angetroffen?
Bettina Junker: So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen – und ich war in vielen Ländern, in denen Unicef tätig ist. In Sudan spielt sich die derzeit grösste Flüchtlingskrise weltweit ab, die Not ist enorm. Wohin man auch blickt, es ist erschütternd.
Woran fehlt es den Menschen am meisten?
Es fehlt an allem. Wir erleben die schlimmste akute Ernährungsunsicherheit. Besonders Kinder zwischen einem und fünf Jahren leiden am meisten. Wir messen das bei den kleinen Kindern mit einem Papierstreifen, der in rote, orange und grüne Zonen unterteilt ist. Man legt den Streifen um den Arm des Kindes, und wenn er im roten Bereich ist, bedeutet das, dass das Kind akut mangelernährt ist. Dann versorgen wir es sofort mit einem Beutel Erdnusspaste, die sehr kalorienreich ist.
Wie ist die Situation mit dem Wasser?
Es gibt keinen Zugang zu sauberem Wasser. Eine Familie zeigte uns eine Plastikflasche mit dem Wasser, das sie den ganzen Tag über trinken. Es war eine hellgraue, trübe Brühe. Es ist offensichtlich, dass Menschen, die dieses Wasser trinken, krank werden. Das ist ein riesiges Problem.
Webseite von Unicef Schweiz
Was sind neben den Kriegshandlungen die Hauptgründe für die katastrophale Versorgungslage?
Sudan ist riesig, fast so gross wie ganz Westeuropa. Das Land hat kaum Infrastruktur. Es gibt kaum Strassen, was bedeutet, dass Nahrungsmittel nicht transportiert werden können. Die wenigen vorhandenen Strassen wurden während der Regenzeit überflutet, versumpft oder weggespült.
Unicef ist mit rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Wo helfen Sie am meisten?
Wir impfen die Kinder und versuchen, die Wasserversorgung zu verbessern. Das Gesundheitssystem ist praktisch zusammengebrochen. 70 Prozent der Spitäler sind zerstört, nicht mehr existent oder von militärischem Personal besetzt.
Durchfallerkrankungen sind die Haupttodesursache bei Kindern zwischen einem und fünf Jahren.
Es gibt keine Medikamente, kein Personal. Für Kinder sind zum Beispiel Durchfallerkrankungen lebensbedrohlich. Es ist die Haupttodesursache bei Kindern zwischen einem und fünf Jahren, obwohl es vermeidbar wäre.
Sudan gilt als «vergessene Krise». Andere Kriege stehen stärker im Fokus. Woran liegt das?
Sudan hat aus westlicher Perspektive eine geringere geopolitische Bedeutung. Der Konflikt spielt auf der politischen Agenda eine untergeordnete Rolle. Es fehlt auch eine führende Figur, wie zum Beispiel Präsident Wolodimir Selenski in der Ukraine, der weltweit Aufmerksamkeit für den Konflikt erregt. So eine Person gibt es in Sudan nicht.
Vor kurzem sind in der Schweiz Friedensgespräche zu Sudan zu Ende gegangen. Eine Lösung des Konflikts kam nicht zustande, aber es gibt eine Vereinbarung über gesicherten humanitären Zugang. Halten sich die Kriegsparteien an diese Vereinbarung?
Nein, die Kriegsparteien halten sich nicht daran. Jeden Tag gibt es Berichte von getöteten oder verstümmelten Kindern und schwersten Menschenrechtsverletzungen an der gesamten Bevölkerung. Aber besonders die Kinder sind dem Ganzen schutzlos ausgeliefert.
Das Gespräch führte David Karasek.