Nach zwei Jahren blutigen Bürgerkriegs in der äthiopischen Region Tigray herrscht seit November eine Waffenruhe. Die Kämpfe seien seither in der Tat praktisch eingestellt worden, sagt der Journalist Johannes Dieterich. Er hat die Region Tigray kürzlich besucht.
SRF News: Wie schwierig war es, in die Region Tigray zu gelangen?
Johannes Dieterich: Seit drei Wochen kann man als Tourist mit dem Flugzeug in die Region reisen. Weil ich einen jungen Einheimischen kannte, war auch der Aufenthalt vor Ort kein Problem.
Wie ist die humanitäre Lage nach zwei Jahren Bürgerkrieg?
Bei meiner Ankunft in der Tigray-Hauptstadt Mek'ele erfuhr ich, dass die Mutter meines Freundes gestorben ist – an den Folgen einer Entzündung, die mit Antibiotika wohl ohne weiteres hätte geheilt werden können. Doch wegen der Blockade Tigrays gab es keine Antibiotika.
Ein Liter Benzin kostet vier Dollar, das sich kaum jemand leisten.
Mek'ele macht insgesamt einen traurigen Eindruck – es gibt kaum etwas zu kaufen, auf den Strassen sind bloss Eselskarren, Tuktuks und vollgestopfte Minibusse unterwegs. Ein Liter Benzin kostet vier Dollar, das sich kaum jemand leisten.
Was brauchen die Menschen in Tigray am nötigsten?
Vor allem Nahrungsmittel – 90 Prozent der Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Auf dem Land kommen die Lebensmittel nach wie vor kaum an, auch gibt es keine Fahrzeuge, die Kranke oder Unterernährte in die Stadt bringen können, wo ihnen geholfen werden könnte. Deshalb sterben in den ländlichen Gebieten Tigrays noch immer Kinder am Hunger.
Hält der im November vereinbarte Waffenstillstand immer noch?
Ja. Offenbar hat sich auch das Verhältnis zwischen den äthiopischen Truppen und den Kämpfern von Tigray verbessert. So habe ich erfahren, dass die Kommandanten beider Seiten in telefonischem Kontakt stehen.
Die Eritreer sind offenbar dabei, sich aus Tigray zurückzuziehen – ein entscheidender Schritt hin zu einem Frieden.
Das Problem sind eher die anderen Milizen, die aufseiten der äthiopischen Zentralregierung gegen die tigrischen Milizen gekämpft haben: jene aus der Region Amhara und jene aus Eritrea. Sie werden für noch nach der vereinbarten Waffenruhe verübte Massaker und Plünderungen verantwortlich gemacht. Inzwischen sind die Eritreer aber offenbar daran, sich aus Tigray zurückzuziehen. Das wäre ein entscheidender Schritt hin zu einem dauerhaften Frieden.
Was braucht es sonst noch für einen Frieden, der hält?
Die Zentralregierung in Adis Abeba und die Regionalregierung in Tigray müssen einen Weg finden, wie sie miteinander leben können. Die Friedensverhandlungen werden nun bald beginnen. Dabei will Äthiopiens Premier Abiy Ahmed einen starken Zentralstaat, während die Tigrer eine möglichst grosse Autonomie anstreben – das tun übrigens auch andere Volksgruppen in Äthiopien wie etwa die Oromo. In den nächsten Jahren wird es darum gehen, eine für alle akzeptierbare Formel der Koexistenz zu finden.
Welche Rolle spielen Europäer bei den Verhandlungen?
Der Westen stellte sich angesichts der unruhigen Region mit den Bürgerkriegsländern Somalia, Sudan und Eritrea stets auf die Seite einer starken Zentralregierung. Doch nach Eskalation des Konflikts um Tigray tendierten Europa und die USA eher zu einer Stärkung der Tigray – weil Abiy zu forsch gegen die Region vorging. Inzwischen scheint sich im Westen die Haltung durchgesetzt zu haben, dass beide Seiten in etwa ausgeglichen stark sein müssen, um ein stabileres Gleichgewicht zu erreichen.
Das Gespräch führte Amir Ali.