Deutschland steht eine historische Wahl bevor: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik trat ein amtierender Kanzler nicht mehr an. Angela Merkel ist nicht nur die erste Frau, die dieses Amt innehatte, sie ist auch die erste Kanzlerin, die sich freiwillig zurückzieht.
Merkels Plan scheiterte
Und weil sie niemand ist, der die Dinge dem Zufall überlässt, hatte sie einen Plan für ihre Nachfolge. Frühzeitig kündigte Merkel ihren Rückzug an und übergab den CDU-Vorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer. Doch Merkels Schatten war übermächtig, Kramp-Karrenbauer fand nicht in ihre Rolle und musste nach gut einem Jahr bereits wieder aufgeben. Merkels Plan scheiterte.
Immer offensichtlicher zeigt sich seither, wie zerrissen die Union aus CDU und CSU ist, welches Vakuum Merkel in ihrer eigenen Partei hinterlässt. Erst im Streit um den Parteivorsitz, den Armin Laschet für sich entschied, später im Kampf um die Kanzlerkandidatur.
Wiederum ging Armin Laschet als Sieger vom Platz, der sich gegen CSU-Chef Markus Söder durchsetzte. Doch der Schaden war angerichtet, das Bild einer orientierungslosen Union lässt sich seither nicht mehr abschütteln.
Union auf historischem Tiefstand
Laschet, der als männliche Merkel gehandelt wurde und deren Erbe antreten sollte, stolperte angeschlagen von einem Fettnapf zum nächsten, schlingerte in der Corona-Politik und schaffte es selbst nach der Flutkatastrophe im eigenen Bundesland nicht, als Krisenmanager zu punkten. Und so liegt die «letzte Volkspartei Europas», wie die Union sich selbst gerne sieht, momentan bei knapp über 20 Prozent – ein historischer Tiefstand.
Etwas besser erging es der SPD, die sich früh auf ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz einigte und seither geschlossen und solide Wahlkampf führt. Anfangs belächelt, liegt Scholz nun vorne und schaffte, was keiner mehr für möglich gehalten hätte: Er holte die totgesagten Sozialdemokraten aus dem Jammertal.
Zum Juniorpartner dürfte es reichen – bloss: unter wem?
Hoch gepokert haben die Grünen. Sie nominierten im Frühling mit Annalena Baerbock eine eigene Kanzlerkandidatin, die kometenhaft zur Hoffnungsträgerin aufstieg, nur um kurz darauf genauso kometenhaft wieder abzustürzen. Revolutionen sind nun mal nicht Deutschlands Sache.
Obwohl der Klimawandel mittlerweile die grösste Sorge vieler Deutschen ist, gelang es den Grünen nicht, Vertrauen zu schaffen für ihre Politik des «Aufbruchs». Zu dilettantisch der Wahlkampf, zu verbissen die Kandidatin. Zum Juniorpartner dürfte es reichen. Bloss: unter wem?
Deutschland wird wohl zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Regierung aus drei Parteien bekommen. Auch die SPD wird mit nur einem Partner keine Mehrheit bilden können. Bereits vor vier Jahren zog sich die Regierungsbildung monatelang hin und endete im unliebsamen Kompromiss einer Koalition aus CDU und SPD. Die nächste könnte noch komplizierter werden.
Zugeständnisse werden schmerzhaft sein
Am wahrscheinlichsten scheint derzeit die sogenannte «Ampel» aus SPD, den Grünen und der FDP. Logische Partner sind das nicht, gegenseitige Zugeständnisse dürften schmerzhaft sein. Auch diverse andere Farbenspiele sind denkbar, die Parteien liegen eng beieinander. Das macht die Wahl für viele Deutsche schwierig, denn welche Parteienkombination sie am Ende mit ihrer Stimme unterstützen, ist nicht abzusehen.
Strategisch zu wählen, ist so kaum möglich, und aus Leidenschaft zu wählen, noch viel weniger. Bei der Frage, wen sie sich am ehesten als Kanzler:in vorstellen könnten, lautet die meist genannte Antwort noch immer: Keine:r von den dreien. Auch das gab es noch nie in Deutschland.