Myo Win Tun war im Herbst 2017, als die burmesische Armee Hunderttausende von Rohingya aus Burma vertrieb, Regierungssoldat. In einem Video erzählt er: «Unsere Vorgesetzten sagten: ‹Schiesst auf alle, die ihr seht oder hört.› Das taten wir, als wir im Dorf Taung Bazar ankamen. Wir zerstörten auch die umliegenden Dörfer. In einem Massengrab begruben wir 30 Leichen.»
Als wir das Dorf Kalar säuberten, töteten wir alle, die wir antrafen, egal ob es Kinder oder Erwachsene waren.
Zaw Naing Tun, ein zweiter Deserteur, sagt, seine Einheit habe zwanzig Rohingya-Dörfer zerstört: «Als wir das Dorf Kalar säuberten, töteten wir alle, die wir antrafen, egal ob es Kinder oder Erwachsene waren.» Es ist das erste Mal, dass sich burmesische Soldaten öffentlich zu ihren Taten bekennen. Laut der Menschenrechtsorganisation Fortify Rights befinden sich die Deserteure jetzt in Den Haag.
Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt seit vergangenem November wegen Gewalttaten und Deportationen sowie ethnischer und religiöser Verfolgung der Rohingya gegen Burma. Die beiden Deserteure könnten in diesem Verfahren zu Angeklagten und wichtigen Zeugen werden. Der Prozess wird voraussichtlich Jahre dauern.
Derweil harren weiterhin über eine Million Rohingya-Flüchtlinge in Lagern in Bangladesch aus. Sowohl die burmesische Regierung von Aung San Suu Kyi als auch das Militär betonten immer wieder, die Rohingya seien aus Bangladesch eingewandert und deshalb keine Burmesen.
In den letzten zwei Jahren habe jedoch ein Umdenken stattgefunden, sagt die Schweizer Diplomatin Christine Schraner Burgener in Bern. Sie wurde im April 2018 zur Sondergesandten für Burma ernannt und soll unter anderem die burmesische Regierung dabei unterstützen, die Rohingya-Flüchtlinge nach Burma zurückzuholen.
Die Armee habe – auch aufgrund des Drucks der Gerichtsverfahren und von aussen – ihr Narrativ verändert. Zudem, sagt Schraner Burgener: «Man hat mir gesagt, man nehme die Rohingya wieder zurück. Für uns von der UNO ist aber auch klar: Wir wollen nicht, dass sie zurückgehen und dann gleich wieder flüchten müssen.»
Die Wahrscheinlichkeit, dass genau das geschieht, ist jedoch gross. Denn die Sicherheitslage im Gliedstaat Rakhine, aus dem die Rohingya vertrieben wurden, ist wegen eines eskalierenden Konflikts zwischen der burmesischen Armee und einer anderen ethnischen Gruppe prekär.
Während sich seit der Rohingya-Krise weltweit namhafte Persönlichkeiten und Institutionen von Suu Kyi abgewandt haben, zeigt die UNO-Sondergesandte grosse Achtung für die Friedensnobelpreisträgerin, mit der sie in regelmässigem Kontakt steht.
Suu Kyi wolle ihr Land demokratisieren und die Menschenrechte schützen, ist Diplomatin Schraner Burgener überzeugt: «Sie hat einfach sehr viele Herausforderungen zu bewältigen. Die Zivilregierung ist immer noch an die Armee gebunden, da diese 25 Prozent aller Sitze im Parlament hat. Das macht es so schwierig für die Regierung, Änderungen voranzubringen. Daher ist es eine Abhängigkeit, die aber von sehr viel Misstrauen untermauert ist.»
Keine Rückkehr und keine Anerkennung der Rohingya als Staatsangehörige – was konnte die UNO-Sondergesandte für Burma in ihren ersten 2.5 Amtsjahren erreichen? Die Freilassung von einigen Rohingya aus den Gefängnissen etwa, sagt sie, aber viel wichtiger: «Vertrauen. Denn ohne das hätte ich keine offenen Türen und sie wären auch nicht empfänglich für meine Empfehlungen. Aber es gibt noch sehr viel zu tun.»
In einem Land, in dem jeder jedem misstraut, mag Vertrauen der Beginn einer sehr langsamen Veränderung sein. Langsam sind auch die Prozesse in Den Haag, wo Burma angeklagt ist und noch lange kein Urteil zu erwarten ist. So bleibt es höchst ungewiss, wann und ob die Hunderttausenden von vertriebenen Rohingya eines Tages nach Burma zurückkehren können.