Syrien, Irak, Ukraine: CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen hat aus zahlreichen Kriegs- und Katastrophengebieten berichtet. So war er etwa der erste internationale Journalist, der Anfang April über die mutmasslichen Kriegsverbrechen in der ukrainischen Stadt Butscha berichtet hat. Im Interview mit der SRF-Sendung «Club» erzählt er, wie seine Arbeit ihn geprägt hat, wie er mit den Gefahren umgeht, und welchen Einfluss Journalistinnen und Journalisten auf die Wahrnehmung eines Krieges haben.
SRF News: Kriegsreporterinnen und -reporter werden häufig gefragt, wie es ist, in den Krieg zu fahren. Doch wie ist es, zurückzukommen? Ertragen Sie das?
Frederik Pleitgen: Es ist schon schwierig. Gerade die letzten Male in der Ukraine war es schwer, loszulassen. Der Krieg geht ja weiter, das Leid geht weiter. Man fühlt sich ein bisschen schuldig, dass man die Menschen, mit denen man so viel erlebt hat, zurücklässt. Da ist es nicht einfach, zurückzufahren und sich in den Alltag zu integrieren.
Sie waren einer der ersten Journalisten in Butscha, nachdem die russische Armee abgezogen ist. Wie entscheiden Sie in einem solchen Moment, welche Bilder Sie zeigen, was Sie dem Publikum zumuten können?
Das ist total schwer. Ich glaube, dass sich das in den letzten Jahren auch ein bisschen gewandelt hat. Ich glaube, man versucht, so viel wie möglich zu zeigen. Aber man muss auch gucken, dass man die Würde der Menschen, die ums Leben gekommen sind, wahrt. Ich bin immer dafür, so viel wie möglich zu zeigen. Aber solche Entscheidungen treffe ich natürlich nicht allein, gerade, wenn es um so grausame Sachen geht. Da entscheidet auch immer die Redaktion, was man verpixeln muss. Aber es ist schwierig und entwickelt sich mit der Zeit.
Bilder aus dem Krieg können eine riesige Wirkung haben.
Inwiefern können solche Bilder und Berichte die Wahrnehmung des Krieges beeinflussen?
Ich glaube, die grosse Stärke gerade von Bewegtbildern und Fotos ist, dass man das Leid emotional rüberbringen kann. Man kann ja viele Fakten lesen – das ist auch wichtig, dass man das tut. Aber wenn man dann das Gesicht eines Kindes sieht, das verwundet wurde oder eine Masse von Menschen, die umgebracht wurden, löst das etwas aus, das eine riesige Wirkung haben kann.
Wie steht es im Krieg um die journalistische Distanz?
Ich glaube, Objektivität ist eine Sache, die man nie vollständig erreicht, aber nach der man als Journalist immer streben muss. Gerade wenn man an Orten ist, wo Dinge geschehen, die emotional sehr belastend sind und wo vieles sehr einseitig aussieht.
Wie schützen Sie sich, wenn Sie in diesen Gebieten arbeiten?
Ich bereite mich auf diese Einsätze vor, indem ich verfolge, wo aktuell die Front verläuft und welche Waffen dort eingesetzt werden, ob es zum Beispiel Langstreckenwaffen gibt. So kann ich einschätzen, wie weit ich von der Front entfernt sein muss und wo es gefährlich wird. Auch mit der Geografie beschäftige ich mich: Wo sind Flüsse, wo sind Strassen, die noch passierbar sind? Vor Ort arbeiten wir auch mit Sicherheitsleuten zusammen, die uns beraten.
Warum fahren Sie immer wieder zurück in den Krieg? Was treibt Sie an?
In vielen Krisen und Kriegen wird die Weltpolitik entschieden und die Weltgeschichte geprägt. Deswegen muss man da sein, um das zu dokumentieren, mitzunehmen, zu erleben. Was dazukommt: Wenn man im Krieg arbeitet, erlebt man alle Facetten der Emotionalität. Das ist hart. Aber gleichzeitig macht es einen emotional auch sehr stark – wenn man sich vor Augen führt, dass man Dinge erlebt, die Menschen eigentlich nicht erleben sollten.
Im Krieg erlebt man das Schlimmste und das Beste im Menschen.
Man erlebt Grauenhaftes, aber es gibt auch Momente der Menschlichkeit?
Das ist nahe beieinander. Darum sage ich immer: Im Krieg erlebt man das Schlimmste und das Beste im Menschen. Das ist auch das, was einen trägt – wenn einem die Menschen ihr Herz ausschütten. In der Ukraine sind wir in einem zerstörten Ort einer Frau begegnet, die zuerst gar nicht mit uns sprechen wollte. Doch dann brach plötzlich alles aus ihr heraus, weil sie sich das irgendwie von der Seele reden musste. Solche Momente sind sehr wichtig. Auch, um den Konflikt besser zu verstehen.
Wie hat der Krieg Sie verändert?
Ich glaube, der Krieg – oder die Kriege – haben mich als Person stärker und belastbarer gemacht. Wenn man beschossen wurde, hat man auch vor vielen anderen Sachen im Alltag nicht mehr so grosse Angst. Man hat die grössten Höhen und Tiefen miterlebt. Das ist wichtig und prägend.
Das Interview führte Barbara Lüthi.