Die Bilder von Butscha schockieren die Welt. Nachdem sich die russischen Besetzer aus der Stadt nördlich von Kiew zurückgezogen haben, liegen viele Leichen von Zivilisten auf der Strasse. Einige von ihnen sind gefesselt und wurden mit Kopfschüssen getötet. Auch ein Massengrab wird entdeckt. Es ist von insgesamt mindestens 300 Toten die Rede. Der Westen wirft Russland Kriegsverbrechen vor, die ukrainischen und internationale Behörden sammeln Indizien.
Die russische Seite weist die Vorwürfe noch am Sonntag scharf zurück, und behauptet ohne jegliche Beweise, die Menschen seien erst nach dem Rückzug der russischen Truppen vom 30. März getötet worden, als in Butscha die ukrainischen Sicherheitskräfte das Sagen hatten.
Satellitenbilder enttarnen russische Behauptung
Satellitenbilder zeigen nun aber klar, dass viele Leichen in Butscha bereits vor mehreren Wochen auf den Strassen lagen – also lange vor dem Rückzug der russischen Truppen. Das hat eine Analyse der «New York Times» ergeben. Das Satellitenfoto der Jablonskastrasse in Butscha im unten stehenden Bild rechts stammt vom 19. März. Es zeigt Objekte in der Grösse von menschlichen Körpern, die am exakt gleichen Ort und in der gleichen Position liegen, wie Leichen auf einem Video, das ein lokales Behördenmitglied am 1. April auf Social Media gepostet hat.
Sicherheitsexperte Michael Haas hat sich die Bilder für SRF angeschaut. Er hat bis Ende Jahr an der ETH Zürich geforscht und ist heute als unabhängiger Sicherheitsexperte auf die Analyse von Satellitenbildern in Kriegs- und Konfliktgebieten spezialisiert. Auch für ihn ist klar: «Man kann hier sehen, dass das russische Narrativ nicht mit den Zeitangaben zusammenpasst, die wir aus den Satellitenbildern ablesen können.»
Das russische Narrativ passt nicht mit den Zeitangaben zusammen, die wir aus den Satellitenbildern ablesen können.
Grundsätzlich sei die Fernerkundung durch Satelliten eine sehr exakte Wissenschaft. Es sei entscheidend, dass es einen genauen Zeitstempel gebe. «Dank der Metadaten können wir sehr genau nachvollziehen, wann und aus welcher Position das Bild aufgenommen wurde.» Manipulationen hält Haas hier für fast ausgeschlossen: «Es ist es sehr schwierig, diese Metadaten so glaubwürdig zu manipulieren, dass es nicht auffliegt.» Auch wäre der Imageschaden für kommerzielle Anbieter sehr gross, würden Manipulationen entdeckt.
Insgesamt ergib sich für Haas aus den Satellitenbildern der letzten Woche eine erdrückende Beweislast, «dass Regeln des Kriegsvölkerrechts nicht eingehalten wurden, dass Vorgaben wie die Verhältnismässigkeit, oder die Vermeidung von unnötigem Leiden der Zivilbevölkerung in dieser russischen Militäroperation keine Rolle gespielt hat.»
Satellitenfotos bleiben nur ein Beweismittel von vielen
Trotzdem sei klar: Auch Satellitenfotos müssten immer kritisch überprüft und hinterfragt werden. Denn: «Man darf sich natürlich keine Illusionen machen: Je mehr Satellitenbilder in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielen, desto mehr wird auch versucht werden, mit Manipulationen von öffentlich zugänglichen Bildern ein Narrativ zu gestalten.»
Satellitenaufnahmen bleiben für Haas aber nur ein Beweismittel unter vielen für die Beweisführung von Kriegsverbrechen vor einem Gericht. «Man muss das mit der klassischen Ermittlungsarbeit kombinieren. Also mit der Auswertung von Bildern, die am Boden aufgenommen wurden, mit verlässlichen Interviews und Zeugenaussagen.»