Nach drei Monaten ist der wegen der Pandemie verfügte Hausarrest aufgehoben worden. Wie sich die neue Freiheit in Barcelona und andernorts in Spanien anfühlt, beschreibt die Journalistin Julia Macher.
SRF News: Sind die Menschen in Spanien jetzt eher erleichtert oder noch vorsichtig – oder beides?
Julia Macher: Zunächst freuen sie sich sicher, dass sie wieder zwischen den verschiedenen Regionen hin- und herreisen können. Schon am Sonntag sind viele losgefahren, um ihre Eltern, Kinder, Enkel oder andere Verwandte zu besuchen. Andere sind aufs Land gefahren, um dort das Wochenende zu verbringen. Die Strände waren ebenfalls voll. Auch die kleinen Freuden werden jetzt wieder gelebt: zusammensitzen, einen Aperitif trinken oder zusammen essen – endlich wieder tun, was für Spanien so charakteristisch ist.
Nach wie vor gelten Distanzregeln und Maskenpflicht. Werden die Regeln eingehalten?
Überall, wo der Mindestabstand von anderthalb Metern nicht eingehalten werden kann, ist ein Nasen-Mundschutz Pflicht. Dazu gibt es in manchen Regionen Sonderregelungen wie Einschränkungen in Restaurants oder Discos. Die Akzeptanz der Einschränkungen ist sehr gross.
Die Angst vor einer zweiten Infektionswelle sitzt tief.
Die Bilder der überfüllten Intensivstationen haben sich bei den Menschen eingebrannt. Das Virus ist zwar eingedämmt, aber immer noch da. Das wissen die Spanier. Entsprechend tief sitzt die Angst vor einer zweiten Infektionswelle.
Wieso wurden die Grenzen früher geöffnet als ursprünglich geplant?
Dahinter stehen sicher wirtschaftliche Überlegungen – schliesslich macht der Tourismus zwölf Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung aus. Um dem arg gebeutelten Fremdenverkehr wieder auf die Beine zu helfen, hat die spanische Regierung ein 2,5 Milliarden Euro schweres Hilfspaket verabschiedet.
Der Konjunktureinbruch könnte bis zu 15 Prozent betragen, die Arbeitslosigkeit auf bis zu 20 Prozent steigen.
Der Tourismus hätte sich mehr Unterstützung gewünscht, doch der Regierung fehlt dafür schlicht das Geld. Die spanische Zentralbank rechnet mit einem Konjunktureinbruch von bis zu 15 Prozent und die Arbeitslosigkeit könnte auf bis zu 20 Prozent steigen. Auf Spanien warten also schwere Zeiten.
Die Spanier sind innerhalb Europas am unzufriedensten damit, wie die Regierung die Coronakrise bewältigt hat. Woran liegt das?
Die Unzufriedenheit ist laut den Umfragen vor allem in den letzten Wochen gestiegen. Auf Ärger stiessen also weniger die starken Einschränkungen zu Beginn der Coronakrise als vielmehr die schrittweisen Lockerungen. Ein Grund dafür ist wohl die etwas erratische Informationspolitik der Regierung. Hinzu kommt der harte Umgang der Opposition mit der Regierung – sie macht inzwischen den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez persönlich für die vielen Covid-19-Toten verantwortlich.
Zum Teil ist die Kritik ja berechtigt, etwa, was die Zustände in vielen Altersheimen angeht. Wird die Coronakrise ähnlich wie in Italien aufgearbeitet?
Bereits stapeln sich hunderte Klagen bei der Staatsanwaltschaft. Dabei geht es vor allem um die Situation in den Altersheimen, wo bis zu 15 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner starben.
In Altersheimen starben bis zu 15 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen.
Zielscheibe dieser Kritik ist aber nicht die Zentralregierung in Madrid, sondern die jeweiligen Regionalbehörden. So soll es etwa in der von den Konservativen regierten Region Madrid die Anweisung gegeben haben, am Coronavirus erkrankte Altersheimbewohner nicht ins Spital zu bringen. Auch die mangelhafte ärztliche Betreuung in den Altersheimen selbst wird angeprangert.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.