Mit der Delta-Variante spitzt sich die Corona-Situation in Grossbritannien wieder zu. Vor diesem Hintergrund setzt die britische Regierung nun auch auf eine Impfpflicht für das Personal von Alters- und Pflegeheimen. Wer sich nicht innert 16 Tagen impfe, müsse gehen, erklärte Gesundheitsminister Matt Hancock.
Frühe Fehler töteten Zehntausende
Dass Hancock gerade das Heimpersonal in die Pflicht nehmen will, hängt mit Trauma aus den Anfängen der Pandemie zusammen, wie Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser erinnert: Damals wurden tausende von alten Menschen ungetestet aus Spitälern in Altersheime verschoben, andere würden sagen «abgeschoben».
Dort wirkte sich die Pandemie verheerend aus. Zwischen 30'000 und 40'000 Menschen starben allein in den Heimen. Jetzt zeigt eine Umfrage, dass ausgerechnet in diesen Pflegeheimen bis zu 20 Prozent des Personals die Impfung ablehnen.
Widerstand über Impfgegnerschaft hinaus
Beim Pflegepersonal löste dieser Entscheid heftige Reaktionen aus. Und zwar nicht nur bei fundamentalen Impfgegnerinnen und -gegnern, wie Wülser sagt: Es meldeten sich auch viele Pflegende, die nicht grundsätzlich gegen Impfungen sind, aber einen solchen Zwang als unverhältnismässigen Eingriff in ihre persönliche Freiheit und ihre Integrität empfinden.
Es gibt auch Juristinnen und Juristen, die überzeugt sind, dass eine Klage wegen Verletzung der Menschenrechte erfolgreich sein könnte. Bezeichnend sei, dass die nationalen Regierungen in Schottland, Wales und Nordirland vorerst auf die Umsetzung der Massnahme verzichteten, so Wülser.
Die Regierungen in Schottland, Wales und Nordirland verzichten vorerst auf die Umsetzung der Massnahme.
Wie in den meisten Ländern ist das Pflegepersonal auch in Grossbritannien nach über 400 Tagen Krise und Ausnahmezustand erschöpft und ausgelaugt. Es herrscht Personalmangel. Ein Gewerkschaftsvertreter sagte gestern, dass mit einem Impfzwang bis zu 15'000 Leute ihren Job an den Nagel hängen könnten.
Folgerichtig, aber nicht realistisch
Solch einen Exodus kann sich das Gesundheitssystem nicht leisten. Als Möglichkeit hat Gesundheitsminister Hancock sogar genannt, die Impfpflicht aufs ganze Gesundheitspersonal, also auch in Spitälern oder Arztpraxen, auszuweiten. Damit würde seine Verordnung letztlich 1,5 Millionen Angestellte aus dem staatlichen Gesundheitswesen betreffen.
Rein wissenschaftlich und technisch sei die Argumentation von Regierung und Gesundheitsministerium nachvollziehbar, sagt Wülser. Aber praktisch, ethisch und rechtlich bewege sich die britische Regierung wohl eher auf dünnem Eis.