Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war mit grosser Spannung erwartet worden. Und es spricht eine deutliche Sprache: Der Lockdown im Mai und Juni 2021 sei unter den gegebenen Umständen verhältnismässig und sinnvoll gewesen.
Neues Gesetz schliesst Lockdown aus
Es war die FDP, die gegen die sogenannte «Bundesnotbremse» geklagt hatte, damals noch als Opposition. Und allen voran die FDP begründet ihre aktuelle Zurückhaltung in der Corona-Politik mit Bedenken, ob allgemeine Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen verfassungsrechtlich haltbar seien.
Erst vor einer Woche hatte die Ampelkoalition die «epidemische Lage von nationaler Tragweite» mit ebendieser Begründung auslaufen lassen und durch ein neues Infektionsschutzgesetz ersetzt, das einen Lockdown ausschliesst. Die FDP erfüllte damit ein zentrales Wahlversprechen, ungeachtet der rasant steigenden Corona-Zahlen.
Brutaler Flop
Dieses Signal sei fatal, wurde kritisiert. Denn in manchen Regionen liegt die Anzahl der Neuinfektionen bei rekordhohen 1400 pro 100'000 Personen. Bereits jetzt stehen Spitäler vielerorts am Rande des Kollapses, Intensivpatienten müssen durchs ganze Land geflogen werden und die Prominenz der deutschen Wissenschaft fordert eindringlich sofortiges Handeln der Politik.
Doch es scheint, als könne die neue Regierung nicht mehr zurück, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Bereits die allererste Amtshandlung droht zum brutalen Flop zu werden. Und auch das Urteil des Verfassungsgerichts wird kaum helfen, das Dilemma zwischen Wahlversprechen und aktuellem Handlungsdruck elegant aufzulösen.
Urteil bringt neue Probleme
Denn es stellt die Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen vor neue Probleme: Einerseits ist die Argumentation, ein allgemeiner Lockdown sei grundsätzlich keine rechtssichere Massnahme, nicht mehr stichhaltig. Andererseits ist damit nicht geklärt, ob ein allgemeiner Lockdown unter den aktuellen Bedingungen (an die 70 Prozent der Deutschen sind mittlerweile geimpft) rechtlich noch immer Bestand hätte.
Der Druck auf die Spitzen von Bund und Ländern ist gross. Eiligst haben sie ein für den 9. Dezember geplantes Treffen nun vorgezogen, rein informell, wie es heisst. Der designierte Kanzler Olaf Scholz fordert heute eine allgemeine Impfpflicht – und nutzt damit seinen Spielraum während einer Pandemie, den das Verfassungsgericht heute grundsätzlich bestätigte.
Kurzfristig wird diese die aktuelle Corona-Welle nicht brechen. Es wird der Politik nichts anderes übrigbleiben, als die Verantwortung für ihr Handeln – ob nun mit schärferen Massnahmen oder einem weiteren Zuwarten – selbst zu übernehmen.