Und plötzlich ist sie verschwunden, die sakrosankte 35. Zu unrealistisch war das Ziel, die Neuansteckungen so weit runterzubekommen, zu gross der öffentliche Druck, endlich zu lockern. Wäre Merkel dabei geblieben, hätte sie den Deutschen ebenso gut sagen können, wir verlängern den Shutdown für immer.
Warum erst jetzt?
Seit Anfang November liegen Kultur und Freizeit auf Eis, seit Weihnachten sind alle Geschäfte und vielerorts Schulen und Kitas geschlossen. Die Deutschen sind mürbe. Jetzt ist sie also da, die «Öffnungsstrategie», und viele fragen: warum erst jetzt?
«Wir haben die Kontrolle verloren», soll Merkel in einer der unzähligen Corona-Gipfeltreffen gesagt haben. Und so wirkt der nun vorliegende 5-Stufen-Plan wie ein verzweifelter Versuch, aus der Ohnmacht herauszufinden. Aber die Handlungsfähigkeit der Politik ist suggeriert.
Ohne grafische Darstellung ist der komplizierte Plan kaum zu durchdringen, es soll kleinteilig und regional differenziert werden in einem Gewirr von Abstufungen, Ausnahmen und Sonderregeln. Für Kultur und Gastronomie gibt es bisher gar keinen Plan. Die «umfassende Teststrategie» klingt verheissungsvoll, deren Umsetzung aber darf bezweifelt werden.
Die Krise wurde verwaltet
Jede und jeder Deutsche hat ab nächster Woche Anspruch auf einen Gratis-Corona-Test pro Woche. Apotheken und Hausärzte warnen bereits vor logistischer Überforderung. Von langer Hand geplant wirkt das nicht. Monate scheinen ungenutzt verstrichen zu sein.
Stattdessen wurde die Krise verwaltet: Wirtschaftshilfen wurden üppig gesprochen, blieben aber in der Bürokratie hängen, Gesundheitsämter mussten ihre Zahlen bis vor kurzem noch faxen, Schnelltests wurden angekündigt, und kamen doch nicht, Schulen sollten Homeschooling ohne vernünftiges Internet bewerkstelligen. Die Liste liesse sich verlängern.
Deutschland muss pragmatischer werden
Das Land befinde sich bereits in der dritten Welle, sagen Experten. Die Zahlen steigen wieder, und dennoch muss die Politik nun lockern, wenn sie den Rückhalt in der Bevölkerung nicht verlieren will. Ihr Ausstiegsplan wirkt, als seien die Regierenden auf dem falschen Fuss erwischt worden – nach einem geschlagenen Jahr Pandemie.
Die Deutschen hoffen trotzdem, sie wollen hoffen. Und in manchen Regionen klappt das Management tatsächlich deutlich besser als auf Bundesebene. Städte wie Tübingen etwa oder Rostock, scheinen die Krise dank kreativer Lösungen ganz gut im Griff zu haben. Bürgermeister in Rostock ist übrigens ein Däne. Er findet, Deutschland müsse «pragmatischer» werden. Wohl wahr.