Ein Strassencafé in der historischen Altstadt Neapels. Hier herrscht normalerweise Gedränge. Touristen trinken Kaffee und essen Baba, ein luftiges Gebäck, das mit reichlich Rum übergossen wird. Doch heute bleiben die Stühle leer, und die Baba in der Vitrine liegen.
Dass noch immer wenige Touristen in der Stadt sind, merkt auch Andrea D'Amato. Er arbeitete am Flughafen von Neapel. Doch weil derzeit nur wenige Flugzeuge starten und landen, ist er seit März ohne Arbeit und auch ohne Lohn: «Selbst wer Anspruch auf Kurzarbeitergeld hat, hat bisher nichts bekommen. Wegen der Bürokratie.»
Trübe Aussichten
D'Amato selbst hat nicht einmal Anspruch auf eine Entschädigung, weil er Saisonangestellter ist. Ab März, ab Saisonbeginn, hätte er eigentlich wieder arbeiten sollen. Doch wegen Corona sagte man ihm ab. Darum lebt der 31-jährige, wie so viele junge Italiener, weiterhin mit und von seinen Eltern: «Weil mich meine Eltern unterstützen, habe ich es besser als viele andere.» Und trotzdem sei seine Situation dramatisch. Er werde wohl bis Ende Jahr keinen einzigen Euro verdienen.
Wer durch Neapels enge, mit Wäsche behangenen Gassen schlendert, bekommt viele solcher Geschichten zu hören. Die Zahlen dazu hat Vito Grassi, Präsident des lokalen Unternehmerverbandes. Weil diese Zahlen so dramatisch sind, sagt Grassi mit einer Portion Galgenhumor, wäre es eigentlich besser, sie gar nicht vorzulesen.
Bis die Wirtschaft Süditaliens das Niveau vor 2008 wieder erreicht, wird es weitere Jahre dauern. Jahre wird es dauern...
Tausende Hotels, Läden, Restaurants seien noch immer geschlossen. Allein in Neapel zehntausende ohne Arbeit. Das heisst, dass zur schon bisher hohen Zahl von Armen nun weitere dazukommen. Grassi erinnert daran, dass sich diese Stadt und ganz Süditalien noch immer nicht von den Folgen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise nach 2008 erholt hätten.
Für Unternehmer Grassi ist klar: «Bis die Wirtschaft Süditaliens das Niveau vor 2008 wieder erreicht, wird es weitere Jahre dauern. Jahre wird es dauern...», wiederholt Grassi leise und gedankenschwer.
Ein bisschen Hoffnung
Und trotzdem will er am Schluss des Gesprächs etwas Positives sagen. Wenigstens etwas stimme ihn zuversichtlich, nämlich das Humankapital – oder einfacher ausgedrückt: die Neapolitaner mit ihrem Wissen und Können werden den Aufschwung schaffen. Davon ist der Präsident des Unternehmerverbandes überzeugt.
Francesca Scotto Rosato ist skeptischer. Denn sie kennt die Sorgen der Neapolitaner. Sie ist eine der Freiwilligen des «telefono rosso», des Sorgentelefons für Arbeitnehmer: «Wir bekommen viele Anrufe von Leuten, die wissen wollen, wie man Arbeitslosengeld bezieht.» Doch in Neapel und in ganz Süditalien arbeiteten viele schwarz, also ohne Vertrag. Für sie gebe es kaum Unterstützung: «Wenn Du keinen Vertrag hast, existierst Du nicht», bringt es Scotto Rosato auf den Punkt.
Das Geld geht aus
Es gebe aber auch viele, die nur ein paar wenige Stunden legal, also mit Sozialabzügen, arbeiteten. Dann aber noch ganz viele Stunden schwarz anhängten. Grau nennt sie diese Form der Arbeit. «Wer grau arbeitet, hat in der Coronakrise nur für die wenigen legalen Stunden Kurzarbeitergeld erhalten.»
Das alles heisst: viele Leute in Neapel leben seit Ausbruch der Krise mit sehr wenig Geld. Viele Läden und Bars sind leer und viele Babas bleiben liegen, weil Touristen ausbleiben. Aber auch, weil sich die Einheimischen viel weniger leisten können.