Im September hätten sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU mit China treffen wollen. Wegen der Pandemie wurde der Gipfel abgesagt. Stattdessen gab es eine Videokonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und Chinas Präsident Xi Jinping sowie Premier Li Keqiang. Eines der wichtigsten Themen war das stockende Investitionsabkommen.
Aber es wird auch um Feinstoffliches gegangen sein. Denn die EU ist zunehmend beunruhigt über das Verhalten Chinas – gerade während der Coronakrise. Die EU-Kommission hat das Land jüngst offiziell zu den Staaten gezählt, die gezielt Lügen und Unwahrheiten verbreiten würden – eine offene Kampfansage. Mareike Ohlberg erklärt, wie sich das Verhältnis der EU zu China geändert hat.
SRF News: Welche konkreten Vorwürfe macht die EU China?
Mareike Ohlberg: China hat sehr starke Forderungen an viele Länder gestellt, man müsse sich jetzt öffentlich bei China bedanken, ansonsten stünden Maskenlieferungen auf dem Spiel.
Chinas Regierung hat mit ihrem Verhalten in der Krise viele Länder Europas verprellt.
Ich glaube, Chinas Regierung hat mit ihrem Verhalten in der Krise viele Länder Europas verprellt. Andererseits wirft man China Desinformation vor. Von chinesischer Seite wurden Verschwörungstheorien zum Ursprung des Coronavirus verbreitet, um davon abzulenken, dass es zuerst in China aufgetaucht ist. In diesem Fall war es aus meiner Sicht angemessen, dass man das jetzt beim Namen benennt.
Wie konkret kann man die Desinformation nachweisen?
Seit letztem Jahr sind immer mehr chinesische Diplomaten, Botschafter und Regierungsbeamte auf Twitter aktiv. Auf diesen Accounts wurden systematisch über einen längeren Zeitraum falsche Tatsachen verbreitet.
China hat im Anschluss an die Videokonferenz angekündigt, es wolle mit der EU gegen Corona kämpfen und gemeinsam einen Impfstoff finden. China hoffe aber im Gegenzug, dass die Exportkontrollen gelockert würden. Wie tönt das in Ihren Ohren?
Letztlich ist aus diesem Gespräch relativ wenig an Substanz vorzuweisen. Es gab bis vor kurzem noch Hoffnung – wenn auch aus meiner Sicht schon unberechtigt –, man könne mit dem Investitionsabkommen Fortschritte machen. Jetzt ist klar, dass das nicht passieren wird. Nun muss man halt das hochhalten, wo es noch am meisten konkrete Inhalte gibt.
Das Problem ist, dass man Abkommen hinterherjagt und sich deshalb häufig bei Kritik zurückhält.
Hat denn die EU überhaupt etwas in der Hand, womit sie gegenüber China eine Grenze ziehen könnte?
Das Problem ist, dass man solchen Abkommen hinterherjagt und sich deshalb häufig bei Kritik zurückhält, zum Beispiel in Bezug auf Hongkong. Das Europäische Parlament hat dazu eine Resolution verabschiedet. Das ist gut, aber man könnte noch viel deutlichere Worte sprechen. Man muss auch erkennen: Auf der wirtschaftlichen Seite ist das, was man erreichen kann, sowieso von vornherein begrenzt.
Europa ist nicht wirklich geeint gegenüber China. Es gibt durchaus Staaten, die mit China enger zusammenarbeiten. Wenn man diese Strategie fahren möchte, müsste es ja eine geeinte Front geben?
Das ist richtig. Wir denken da häufig an Länder wie Griechenland, Ungarn und vor allem Italien. Ich sehe eher Deutschland als Problem. Aber ich bin trotzdem vorsichtig optimistisch, dass durch die Coronakrise ein bestimmtes Umdenken stattgefunden hat. Man hat nun zum ersten Mal die harte Seite der chinesischen Regierung kennengelernt, die sonst nur die Taiwanesen, die Menschen in Hongkong oder die Chinesen selbst sehen. Möglicherweise besteht jetzt eine Bereitschaft zu versuchen, sich stärker durchzusetzen und nicht mehr alles mitzumachen.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.