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Coronavirus in Russland Putins Ankündigung ohne Klarheit

Nach den Ankündigungen des russischen Präsidenten zum Umgang in der Corona-Krise bleibt ein mulmiges Gefühl zurück. Am Montagvormittag meldete Russland noch einen neuen Rekord von 11'656 Neuinfizierungen und rückte damit im internationalen Vergleich mit insgesamt neu 221'344 Infizierten auf den wenig ruhmreichen 3. Platz vor. Darauf folgte die Erklärung Putins am späten Nachmittag, nun könne der Anfang vom Ende der Einschränkungen langsam beginnen.

Um den Worten von Wladimir Putin Vertrauen schenken zu können, war die Krisenkommunikation der vergangenen Wochen zu intransparent und zu widersprüchlich. Dies konnte auch die überraschend entschlossene Stimme des Präsidenten nicht wettmachen, als er verkündete, es beginne nun ein neuer Abschnitt im Kampf gegen die Epidemie.

Es gilt, was bisher galt

Bereits ab Dienstag sollen die Einschränkungen langsam gelockert werden, die in den vergangenen sechs Wochen das Land in einen Stillstand versetzt haben.

Doch einen wirklichen Fahrplan zum Ausstieg legte Putin nicht vor. Er fuhr seine bisherige Strategie weiter, die Verantwortung nach unten abzugeben, und überlasst konkrete Ausstiegspläne den Lokalregierungen.

Und so gilt nach der Ansprache Putins: Es gelten fast alle Einschränkungen, die vorher galten – von wenigen Ausnahmen wie etwa dem Baugewerbe abgesehen, wo langsam wieder der Betrieb aufgenommen werden soll. Dabei ist sich Putin treu geblieben, dass unangenehme Nachrichten in erster Linie andere verkünden sollen.

Ein erstes grosses Zuckerstück

Mit den angekündigten finanziellen Zuschüssen für Familien und Steuerentlastungen hat Putin erklärt, worauf die Russen wochenlang vergeblich gewartet haben. Während Wladimir Putin schwer angeschlagene Bevölkerungskreise endlich ernsthaft in den Blick genommen hat, so verhältnismässig bescheiden bleiben die Beiträge im Vergleich zu anderen Staaten.

Die Hilfe mag kurzfristig eine Entlastung bringen, doch bei den aktuell düsteren Aussichten bräuchte es ohne Zweifel einen langfristigen Plan des Kremls. Doch diesen scheint es weiterhin nicht zu geben. Erschwerend hinzu kommt, dass viele weiterhin durch alle Maschen des Systems fallen, da Millionen von Russinnen und Russen schwarz arbeiten.

Inszenierung des fleissigen Freundes

Putin erklärte, die Regionen seien nun bereit, fast alle Patienten aufzunehmen. Es ist jedoch nicht möglich, dies zu überprüfen. Seit Ausbruch der Pandemie entziehen sich die verantwortlichen Behörden völlig einer kritischen Öffentlichkeit. Das russische Fernsehen strahlt Verkündigungen diverser Ministerien aus und ist seit der Selbstisolation des Präsidenten dazu übergegangen, dessen Treffen mit Ministern und Gouverneuren angeblich live und ganz ohne Kommentar zu übertragen.

Der Kelch der Verantwortung

Zwischen zwei Übertragungen solcher Treffen richtete sich Putin an die Bevölkerung, sichtlich bemüht nahbar zu wirken. Sprach kurzum das gesamte Land mit «Liebe Freunde» an und nannte die Ältesten im Land sogar «meine Liebsten!». Der Präsident appellierte an Geduld und Verantwortungsgefühl.

Damit verlangt Putin jedoch etwas, das er nicht erwarten kann. Damit Menschen sich füreinander verantwortlich fühlen, müsste irgendjemand in einem ersten Schritt wirklich politische Verantwortung übernehmen.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

Tagesschau, 11.5.2020, 19:30

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