Die Haltbarkeit brasilianischer Gesundheitsminister ist kurz, nun soll der Kardiologe Marcelo Queiroga als neuer Gesundheitsminister versuchen, die Lage in den Griff zu bekommen.
Queiroga gilt als Vertrauter der Familie Bolsonaro. An einer Medienkonferenz sprach er sich gegen Lockdowns und für die Politik Bolsonaros aus: «Nicht das Gesundheitsministerium, sondern die Regierung bestimmt die Corona-Massnahmen.»
In den vergangenen Wochen ist der Druck auf Bolsonaro aus dem Kongress gestiegen. Wegen der rekordhohen Infektionszahlen und des Kollapses des Gesundheitswesens forderte der mächtige Block der Mitte-Rechts-Parteien, einen Wechsel des Gesundheitsministers.
Wir müssen machen, was andere Länder gemacht haben: Brasilien absperren.
Viele machen Queirogas Vorgänger für das Chaos verantwortlich. Der frühere Armeegeneral Eduardo Pazuello spielte die Pandemie hartnäckig herunter, setzte auf ein unwirksames Malaria-Medikament und bestellte viel zu spät Impfdosen. Zuletzt starben so viele Brasilianerinnen und Brasilianer an den Folgen einer Corona-Infektion wie nie zuvor.
«Wir haben viel Zeit verloren, ein Jahr in dem wir Blödsinn gemacht haben oder halbe Sachen», sagt der brasilianische Arzt und Neurowissenschaftler Miguel Nicolelis, einer der bekanntesten Mediziner Südamerikas. «Wir müssen machen, was andere Länder gemacht haben: Brasilien absperren, echte Lockdowns für 30 Tage machen.»
Und die Impfungen müssen verzehnfacht werden: Theoretisch könne das Gesundheitssystem täglich zwei bis drei Millionen Menschen impfen – im Moment erreiche man ein Zehntel davon, so Nicolelis.
Einzelne Bundesstaaten oder Städte haben die Corona-Massnahmen verschärft. Aber das geschieht nur halbherzig, da es keine einheitlichen Bestimmungen für ganz Brasilien gibt. Kaum jemand weiss, welche Regeln gerade wo gelten.
Und Präsident Bolsonaro sind nach wie vor alle Massnahmen ein Dorn im Auge. «Die wollen keine Leben retten, die wollen die Macht übernehmen», sagte er dem brasilianischen Nachrichtensender Globo News über Gouverneure und Bürgermeisterinnen, die es wagen, Ausgangssperren zu verhängen. Bolsonaro will, dass das Oberste Gericht diese Massnahmen kippt.
Damit läuft die Bekämpfung der Pandemie letztlich ins Leere, sagt der Soziologe Demetrio Magnoli. «Man kann keinen Lockdown gegen den Willen einer gewählten Regierung durchführen.»
Was in Brasilien passiert, hat globale Bedeutung
Laut der jüngsten Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Datafolha bewerten 54 Prozent der Befragten den Umgang des Präsidenten mit dem Virus als schlecht. Das sind die tiefsten Werte seit Ausbruch der Pandemie.
Bolsonaro hat die Botschaft wohlverstanden. Nachdem er sich in den vergangenen Monaten wiederholt kritisch über Impfungen geäussert hatte, versucht er nun, weitere Impfstoffe zu organisieren.
Brasilien ist ein Risiko und Problem für die Weltgemeinschaft.
Zu spät, sagt der Mediziner Miguel Nicolelis. «Denn wenn das Virus weltweit eingedämmt wird, aber in Brasilien ausser Kontrolle ist, kann die Pandemie nicht zu Ende gehen. Im Gegenteil: Wir können hier in Brasilien die Bildung eines noch ansteckenderen Virus beobachten, eine noch tödlichere Variante. Brasilien ist ein Risiko und Problem für die Weltgemeinschaft.»
Für Brasiliens südliche Nachbarn gilt das bereits: Paraguay, Argentinien und Uruguay verzeichnen ebenfalls einen Anstieg der Infektionen und Todesfälle.