Aus Brasilien werden fast täglich neue und traurige Rekordzahlen bei den Todesopfern infolge der Pandemie gemeldet. Über die Hintergründe weiss SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler mehr.
SRF News: Inwiefern ist die Virus-Variante P1 verantwortlich für die rekordhohen Todeszahlen in Brasilien?
Thomas Häusler: Das ist schwer zu sagen. Die brasilianische Regierung macht viel zu wenig gegen die Pandemie, und es kursieren verschiedene besorgniserregende Varianten im Land. Man weiss aber nicht genug über ihre Verbreitung. Sicher ist: Von P1 ist die Millionenstadt Manaus im Amazonas stark betroffen.
Das genaue Ausmass ist unklar.
In anderen Bundesstaaten gibt es nur Gesamtzahlen der verschiedenen Varianten, die im Verdacht sind, sich schneller zu verbreiten. Laut einer Studie dominieren sie in sechs von acht untersuchten Bundesstaaten das Geschehen. Vermutlich treiben sie die Fallzahlen nach oben und damit auch die Todeszahlen. Aber das genaue Ausmass ist unklar.
Was weiss man aus wissenschaftlicher Sicht über die P1-Variante? Wie viel gefährlicher ist diese Mutation?
Man hat das Erbgut von P1 entschlüsselt und weiss, an welchen Stellen sie wie mutiert ist. Daher rührt auch die Sorge der Experten. Denn P1 enthält einige Veränderungen, die auch bei den beiden bekannten Varianten B.1.1.7 aus Grossbritannien und in jener aus Südafrika vorkommen. Die Eigenschaften einer solchen Variante präzise zu bestimmen, ist allerdings schwierig. Vorderhand gibt es nur grobe Schätzungen, die auch falsch sein könnten.
Es gibt nur grobe Schätzungen zu den Eigenschaften von P1.
Es heisst etwa, P1 könnte sich bis zu doppelt so schnell verbreiten wie die ursprünglichen Varianten – also noch schneller als die britische Variante B.1.1.7, die nun auch bei uns vorherrscht. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass P1 den Immunschutz jener Menschen unterlaufen könnte, die bereits einmal an Covid erkrankt waren – dass sie also solche Menschen leicht ein zweites Mal anstecken könnte. Aber beides sind erst vorläufige Ergebnisse.
Bei gewissen Virus-Varianten gibt es Bedenken, dass Impfstoffe weniger gut wirken. Gibt es diese Bedenken auch bei P1?
Ja, das folgt aus diesem Verdacht, dass P1 vermehrt Re-Infektionen auslösen kann. Es gibt auch Laborexperimente, in denen der Impfstoff von Astra-Zeneca eine etwas abgeschwächte Wirkung gegen P1 zeigt – aber andere Impfstoffe scheinen nicht beeinträchtigt zu sein.
Vermutlich wirken die Impfstoffe noch.
Allerdings kann man aus diesen Laborexperimenten nicht direkt auf die reale Situation im Menschen schliessen. Die Immunantwort ist komplex und vermutlich wirken die Impfstoffe schon noch.
Die neuen Varianten breiten sich teilweise weltweit aus – wie gross ist die Gefahr, die von dieser neuen Virus-Welle in Brasilien ausgeht?
Einerseits können angesteckte Brasilianer, die in andere Länder reisen, diese Varianten dorthin bringen. P1 zum Beispiel gibt es bereits in der Schweiz, aber bisher erst in kleiner Zahl, sodass jeder neue eingeschleppte Fall noch eine gewisse Rolle spielt. Deswegen haben viele Länder Einreisebeschränkungen oder Grenzkontrollen für Menschen aus Brasilien verordnet.
Je mehr Viren zirkulieren, desto öfter finden weitere Mutationen statt.
Negativ an den sehr hohen Fallzahlen in Brasilien ist, dass das Land zu einer Art Brutstätte für neue gefährliche Varianten werden könnte oder bereits ist: Je mehr Viren zirkulieren, desto öfter finden weitere Mutationen statt und desto grösser ist die Gefahr, dass gefährliche Varianten entstehen. Auch könnte sich die Variante P1 weitere fürs Virus vorteilhafte Mutationen zulegen. Das aber wäre für uns Menschen eine schlechte Nachricht.
Das Gespräch führte Claudia Weber.