Giorgia Meloni hat sich bis vor wenigen Monaten oft zusammen mit Ursula von der Leyen gezeigt, also mit der deutschen EU-Kommissionspräsidentin. Doch in den letzten Wochen blieben gemeinsame Auftritte aus. Stattdessen liess sich Meloni bei rechten bis rechtsextremen Parteien zuschalten.
Wo steht Meloni also? Roberto D'Alimonte, Politikwissenschafter und Professor an der Römer Privatuniversität Luiss, sagt, Meloni habe zwei Gesichter. Sie und ihre Partei Fratelli d'Italia hätten sich teils dem politischen Mainstream angenähert, vor allem bei Themen der Aussen- und Wirtschaftspolitik. In anderen Bereichen aber, bei Themen wie Abtreibung, Ehe für alle oder Migration, sei Meloni weiterhin nah bei rechten oder rechtsextremen Parteien.
EU-Wahl: Melonis Stimmen «entscheidend»
Auf den ersten Blick scheint Meloni, die mit ihrer Partei vielleicht 26 bis 27 Prozent der italienischen Stimmen holen wird, für Europa nicht gewichtig zu sein. Doch der Politikprofessor widerspricht: «Melonis Stimmen werden entscheidend sein», so D'Alimonte, der seit Jahren zu Parteien und Wahlen forscht.
Schon 2019, nach der letzten Europawahl, war es schwierig, eine neue EU-Spitze zu wählen. Denn die bisher dominierenden Kräfte – die Zentrumsparteien, die Sozialisten und die Liberalen – hatten nicht genug Stimmen, um von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zu wählen. Man musste weitere Parteien und Partner suchen.
Solches dürfte sich wiederholen, prophezeit D'Alimonte. Meloni werde ihre Stimmen im EU-Parlament dann wohl dafür einsetzen, von der Leyen zu bestätigen oder sonst jemanden aus dem politischen Zentrum zu küren. Aber man werde sehen, was Meloni dafür verlange, so D'Alimonte.
Für ein gewichtiges Gegengeschäft
Laut dem Professor könnte Meloni für sich und Italien einen Kommissar mit zentralen Kompetenzen fordern oder einen Kurswechsel in einem ihr wichtigen Bereich verlangen, mehr finanziellen Spielraum für das verschuldete Italien.
Aber was ist mit einem Schulterschluss am rechten Rand, wie der spanischen Vox oder dem Rassemblement National von Marine Le Pen? D'Alimonte sagt, Meloni habe viel schneller als Le Pen begriffen, was es brauche, um an die Macht zu gelangen; nämlich Positionen des politischen Mainstreams. Deshalb hält es der Politologe tatsächlich für unwahrscheinlich, dass Meloni im EU-Parlament mit Le Pen zusammenspannt.
Meloni versus Salvini
Was aber bedeutet diese EU-Wahl für Italien und für dessen Parteienlandschaft? Melonis Partei dürfte klar stärkste Kraft im rechten Lager werden und auch im Norden Italiens am meisten Stimmen holen. Meloni dürfte also ihren Koalitionspartner, der Lega, erneut auch in deren Stammlanden klar überflügeln.
Für Lega-Chef Matteo Salvini ist das gefährlich. Doch die entscheidende Schlacht zwischen Meloni und Salvini stehe erst noch bevor. Sobald der Gouverneur von Venetien, der beliebte Lega-Politiker Luca Zaia, abtritt, komme es zum Showdown. Wenn die Lega Venetien nicht halten kann und ihre traditionelle Hochburg an Melonis Partei übergeht, wären die Tage von Salvini als Parteichef wohl gezählt.
Und was ist mit der heillos zerstrittenen Linken? Um Meloni dereinst schlagen zu können, müsse sie sich zusammenraufen, rät D'Alimonte. Solange sich die Parteien links der Mitte nicht einigten, werde Meloni weiterregieren, womöglich länger als Angela Merkel. Diese blieb 16 lange Jahre an der Macht.
«Echo der Zeit» ist die älteste politische Hintergrundsendung von Radio SRF: Seit 1945 vermittelt die Sendung täglich die wichtigsten Nachrichten, Berichte, Reportagen, Interviews und Analysen über das aktuelle Zeitgeschehen
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.