«Dieses Land braucht Stabilität, Stabilität für seine politischen Visionen, Ideen, Investitionen.» Das sagt Regierungschefin Giorgia Meloni. Und ihr Vorsatz ist gewiss edel: in Italien endlich einmal für klare Verhältnisse sorgen.
Dieser Aussage Melonis stimmen wohl alle zu. Nur der Weg zu diesem Ziel ist voller Hindernisse. Das erste wartet schon ganz am Anfang, bei der Wahl selbst. Meloni will, dass das Volk die Premierministerin oder den Premierminister direkt für fünf Jahre wählt. Das aber klappt nur dann auf Anhieb, sollte eine Kandidatin oder ein Kandidat eindeutig gewinnen, also mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen.
Was aber geschieht, wenn niemand diese hohe Hürde überspringt? Gibt es dann eine Stichwahl? Oder reicht auch das relative Mehr, um fünf lange Jahre unangefochten zu regieren? So wie zum Beispiel in den italienischen Regionen? Auf diese Fragen haben Giorgia Meloni und ihre rechtskonservative Koalition bisher keine Antworten geliefert.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet
Weitere offene Fragen sind: Was passiert, wenn der direkt vom Volk gewählte Regierungschef im Parlament über keine Mehrheit verfügt? Oder was geschieht, wenn diese Mehrheit im Laufe der fünfjährigen Amtszeit auseinanderfällt? Muss man dann neu wählen oder darf das Parlament auch eine andere Premierministerin bestimmen?
Auch auf diese Fragen hat Meloni bis jetzt noch keine überzeugenden Antworten gegeben. Heute Mittwoch hat die parlamentarische Debatte begonnen. Das kritisiert die Opposition scharf. Elly Schlein, die Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico, sagt, die Reform Melonis würde das Machtgefüge im Staate Italien auf den Kopf stellen.
Alles würde sich verändern. Melonis Reform würde dem Parlament und dem Staatspräsidenten wichtige Kompetenzen entziehen. Es wäre eine einzige Person, die in Italien während fünf Jahren das Sagen hätte, so Schlein.
Tatsächlich haben in Italien viele grosse Bedenken. Diese Reform würde den im Volk sehr beliebten Staatspräsidenten Sergio Mattarella weitgehend entmachten. Denn fiel bisher eine Regierung, dann war es jeweils der Staatspräsident, der oft mit Weisheit und Klugheit den Weg aus der Krise wies. Dies aber erübrige sich mit der von Meloni gewünschten Reform.
Viele Gegengewichte, viele Wechsel, viel Instabilität
Ab 1945, nach dem Ende des Faschismus, hat sich Italien eine Verfassung gegeben, die eines verhindern wollte: dass jemals wieder ein starker Mann wie Benito Mussolini alleine regieren kann. Darum hat sich Italien sehr bewusst ein System mit vielen Gegengewichten gegeben. Das aber hat auch zu viel Instabilität geführt. Die Regierungen wechselten in der Tat häufig, im Durchschnitt alle eineinhalb Jahre, während hingegen vorgezogene Neuwahlen eher selten sind.
Ob Italien tatsächlich einen Chef will, der fünf Jahre unangefochten durchregiert, weiss zurzeit niemand. Am Schluss müssen das wohl die Italienerinnen und Italiener in einem Referendum entscheiden.
Die Reform Melonis hat an der Urne nur dann eine Chance, wenn sie auf die vielen offenen Fragen überzeugende und möglichst von allen Parteien mitgetragene Antworten liefert. Doch davon ist Meloni zumindest im Moment noch sehr weit entfernt.