Wie viel schnüffeln ist erlaubt? Mit dieser Frage hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasst. Er musste beurteilen, ob Geheimdienste wahllos und ohne konkrete Bedrohung Handy- und Internetdaten ihrer Bürgerinnen und Bürger speichern dürfen.
Die Richterinnen und Richter in Luxemburg kommen zum Schluss: Eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten ist nicht zulässig.
Ausnahmen bei nationaler Bedrohung
Es gibt jedoch ein «aber»: Ausnahmen seien möglich, wenn es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder den konkreten Fall einer Bedrohung der nationalen Sicherheit gehe. Aber auch dann dürfen die Daten nur für eine gewisse Zeit gespeichert werden.
Das höchste europäische Gericht bezog sich mit seiner Entscheidung im Kern auf Fälle aus Frankreich, Belgien und Grossbritannien. «In all diesen Ländern besteht – wie auch sonst fast überall – das grosse Bedürfnis, die eigene Bevölkerung überwachen zu dürfen», sagt Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum.
Dagegen wehrten sich Bürgerrechtler, woraufhin sich der EuGH spezifisch mit der Situation in den betreffenden Ländern befassen musste. Doch Steiger ist überzeugt: «Ein solches Urteil hat immer auch Auswirkungen auf die ganze EU.»
«Ohrfeige» für Deutschland
Steiger geht davon aus, dass die direkt vom Urteil betroffenen Ländern ihre Gesetze nun anpassen müssen. Eine derart breit angelegte Massenüberwachung, wie sie heute praktiziert werde, sei künftig nicht mehr zulässig. «Vor allem werden diese Länder sehr genau lesen müssen, welche Ausnahmen der EuGH noch zulässt.»
Auch Deutschland versucht seit Jahren, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Doch auch hier intervenierte die Justiz bereits. «Das EuGH-Urteil dürfte in Berlin als Ohrfeige für die Regierung verstanden werden», glaubt Steiger.
Wenn man das EU-relevante Urteil zum Massstab nimmt, müsste die Schweiz ihre heutige Vorratsdatenspeicherung unverzüglich erheblich einschränken.
Die Schweiz wiederum ist nicht Teil der EU. Grundsätzlich kann sie damit bei der Vorratsdatenspeicherung weiter gehen als EU-Staaten. Der Digitalanwalt spricht hierzulande von einer «extensiven Vorratsdatenspeicherung», die vom Bundesgericht auch für zulässig erklärt worden sei.
Urteil zur Schweiz ausstehend
Die Digitale Gesellschaft hat dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg Beschwerde eingelegt. «Man wird jetzt sehen, ob sich der EGMR am Urteil seiner europäischen Richterkolleginnen und -kollegen in Luxemburg orientieren wird.»
Auch im Nicht-EU-Mitglied Schweiz gelte die europäische Menschenrechtskonvention, schliesst der Digitalanwalt – und fügt an: «Und wenn man trotzdem das EU-relevante Urteil zum Massstab nimmt, müsste die Schweiz ihre heutige Vorratsdatenspeicherung unverzüglich erheblich einschränken.»