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«Das Leben ist keine Party mehr»: Moskauer Promis geraten unter Beschuss
Aus SRF 4 News aktuell vom 29.12.2023. Bild: Instagram/Agentgirl_
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«Dekadent und respektlos» Blanke Empörung über Moskauer «Nackt-Party»

Eine rauschende Party, während die Soldaten im Schützengraben ausharren: Die Moskauer Promiszene gerät unter Beschuss.

«Almost naked» (deutsch: «fast nackt»): Unter diesem Motto hat sich die Moskauer Promi-Szene vor einer Woche zu einer rauschenden Party versammelt. Influencerinnen, Promis und ein Rapper, der mit nichts weiter als einer Socke über seinem Penis bekleidet war: In Russland sorgt eine private Feier derzeit für heftige Reaktionen – auch vonseiten des Kremls.

Die Megametropole Moskau ist an sich nicht für Prüderie bekannt. Doch seit Tagen beissen sich die Staatsmedien an der «dekadenten» und «respektlosen» Party der reichen Showstars fest. Dies in Zeiten, da die eigenen Soldaten in der Ukraine in den kalten Schützengraben ausharren und für das Vaterland kämpfen.

Empörung erreicht den Kreml

Zunächst hatte sich der Protest bei ultrakonservativen Kreisen geregt. So tauchten Videos von vermummten angeblichen Frontkämpfern auf, die die Feier in Kriegszeiten als anstössig verurteilten und Ermittlungen forderten. Schliesslich erreichte die beissende Kritik auch den Kreml.

Putins Sprecher Dmitri Peskow verbat sich vor Journalistinnen und Journalisten zwar jeden Kommentar zu den Ereignissen – liess aber ein Video veröffentlichen, in dem er sich stoisch eine Entschuldigung von Teilnehmenden der Party anhört. Eine Sprecherin des Aussenministeriums liess verlauten, die Feiernden hätten sich «beschmutzt».

Im russischen Fernsehen wurden ganz andere Töne angeschlagen. Der Propagandist und Moderator Wladimir Solowjow brandmarkte die Teilnehmenden der Party: «Ist das Sodom oder Gomorrha? Was alles habt ihr nicht verstanden, über das Land, über Putin, über das Volk? Im Land herrscht Krieg, aber ihr Bestien, ihr Abschaum, organisiert das alles.»

Behörden wittern «LGBT»-Propaganda

Wegen der zunehmenden öffentlichen Empörung schalteten sich schliesslich auch die russischen Behörden ein. So hat die Medienaufsichtsbehörde wegen des Verdachts auf «LGBT-Propaganda» eine Untersuchung eingeleitet. Russische Behörden haben die LGBT-Bewegung als extremistisch eingestuft und verfolgen Aktivistinnen und Aktivisten der Szene strafrechtlich. LGBT steht für Lesben, Gays (Schwule), Bi- und Transsexuelle. 

Dekadenter Westen – Russland als «Hüter der Werte»

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Für Jürgen Buch, Journalist und Osteuropa-Experte des ARD-Studios in Moskau, speist sich die Empörung über die Party aus verschiedenen Strömungen. «Zunächst ist sie ein Verstoss gegen die traditionellen Vorstellungen des offiziellen Russlands – vom Zusammenleben von Menschen und von Sexualität.» Ganze Bibliotheken seien inzwischen darüber geschrieben worden, dass sich Russland als Hüter der wahren Werte gegenüber dem moralischen Verfall sieht, der sich angeblich im Westen vollzieht und auch nach Russland überzuschwappen droht. Insofern verstossen derart «dekadente» Umtriebe quasi gegen die Staatsräson.

Der Bannhammer saust umso härter auf die reichen Feiernden nieder, als sie in Kriegszeiten einer unpatriotischen Haltung bezichtigt werden. «Der Krieg spielt tatsächlich eine Rolle in der Wahrnehmung – obwohl ja eigentlich gar kein Krieg herrscht und es sich lediglich um eine militärische ‹Spezialoperation› handelt», schätzt der Russland-Experte. Gleichzeitig wird das Leben in Russland als normal dargestellt: Weder Wirtschaft noch Gesellschaft leiden unter den «Vorgängen» in der Ukraine – so zumindest die offizielle Lesart. Aber: «Propagandistische Brandschleuniger hieven die Party auf die Weltebene, für sie geht es um Alles oder Nichts», schliesst Buch.

Bei blosser Empörung sollte es nicht bleiben. Der Rapper Vacio – der Mann mit der Socke – wurde von einem Moskauer Gericht zu 15 Tagen Haft und einer Geldstrafe verurteilt.

«Das Leben ist keine Party mehr»

Kirkorow, dem «König der russischen Popszene», droht laut Medien die Aberkennung des Titels «Volkskünstler» durch das Kulturministerium. Gegen die Bloggerin, die die Party organisierte, wurde ein Steuerverfahren eröffnet, das sie ins Gefängnis bringen könnte. Weiteren Teilnehmenden drohen Geldstrafen.

Der britische Guardian zitiert einen Teilnehmer der Feier, den die geharnischten Reaktionen ungläubig zurückliessen. «Wir hatten alle eine gute Zeit, niemand konnte sich vorstellen, was daraus gemacht wird.» Auf den sozialen Medien äusserte sich auch der im Exil lebende russische Oppositionelle Maxim Katz zu den Ereignissen. «Früher gab es einen simplen Gesellschaftsvertrag mit Menschen, die an solchen Partys teilnahmen: Macht, was ihr wollt, solange ihr loyal seid. Aber das Leben ist keine Party mehr.»

SRF 4 News, 29.12.2023, 7:20 Uhr ; 

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