Nach gut vier Jahren Scheidungsdrama ist der Brexit endlich vollzogen: Seit dem 1. Januar ist Grossbritannien rechtlich nicht mehr im EU-Binnenmarkt. Was von den Versprechen und Befürchtungen wahr wird, weiss man erst in einigen Monaten. Doch im Alltag ändert sich schon jetzt viel.
159-seitiges Handbuch
Egal ob Fische, Schafe oder Muscheln – was auch immer die britische Grenze überquert, benötigt neuerdings die richtigen Papiere. Herkunftsnachweise, Sicherheitszertifikate, veterinärmedizinische Atteste.
Allein 159 Seiten umfasst das Handbuch der Regierung für Exporteure. Fleisch, Chemikalien oder Autobestandteile, die in den europäischen Binnenmarkt exportiert werden, müssen künftig richtig deklariert werden. 250 Millionen Formulare, so schätzt die britische Transportvereinigung, wird die Exportwirtschaft in diesem Jahr neu ausfüllen müssen. Fünfmal mehr als vor dem Brexit.
Die Bürokratie hat tatsächlich ein bisschen zugenommen.
Die britische Wirtschaft stöhnt. In Dover wurden die ersten Lastwagen mit fehlenden Papieren bereits zurückgewiesen. Doch im Vergleich zu den Vorteilen des Brexits sind das für Premierminister Boris Johnson eher Nebensächlichkeiten.
«Die Bürokratie hat tatsächlich ein bisschen zugenommen. Die versuchen wir noch zu beseitigen», sagte Johnson. «Aber in erster Linie haben wir ab heute enorme wirtschaftliche Möglichkeiten.»Regierung betont die Vorteile
Rückgang des BIP erwartet
Doch allzu lange freuen kann sich Johnson nicht. Bis heute war der Brexit eine theoretische Debatte. Nun beginnt die Realität. Die englische Bank rechnet wegen des Brexits mit einem Rückgang des Bruttoinlandprodukts von rund vier Prozent.
Die Regierung ist deshalb bemüht, bereits in diesen Tagen die Vorteile des Brexits zu betonen. Grossbritannien kontrolliere ab sofort wieder seine Grenzen und damit die Einwanderung, verspricht beispielsweise die britische Innenministerin Priti Patel.
Unerwähnt lässt sie dabei, dass dies nun auch die 27 EU-Länder tun. Administrative Barrieren gibt es deshalb neuerdings nicht nur für Fische, Schafe und Muscheln, sondern ebenso für britische Touristinnen, Arbeitnehmer und Studierende.