Ein Leben am äussersten Rand ist Sahra Wagenknecht gewohnt. Politisch wie geografisch. Etwas mehr als 200 Meter von ihrer Haustür im saarländischen Silwingen entfernt endet Deutschland an der französischen Grenze. Viel mehr links auf der geografischen deutschen Landkarte geht nicht. Beruflich ist Sahra Wagenknecht Parteichefin eines Bündnisses, das ihren Namen trägt. Bündnis Sahra Wagenknecht. Sie operiert ganz weit aussen, viel mehr links auf der politischen deutschen Landkarte geht nicht.
«Die Linke» war Wagenknecht nicht links genug, sie erklärte im Oktober 2023 den Austritt aus der Partei und schob diese damit an den Abgrund. Im Bundestag ist «Die Linke» noch eine Rumpfpartei, nicht mal mehr Fraktion, nur noch Gruppe – und damit mehr oder weniger bedeutungslos. Und die aktuellen Zahlen sind so entmutigend, dass eine Wiederauferstehung unwahrscheinlich ist.
Das BSW und der Tanz am Abgrund
Mit ihrem BSW erzielte Wagenknecht zunächst in Ostdeutschland beachtliche Wahlerfolge, die Partei regiert in Thüringen und Brandenburg jetzt mit. Doch die Reise am äussersten linken Rand könnte mit der Bundestagswahl ein Ende haben. Die Umfragewerte sind schlecht, mal knapp unter, mal knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Ein Tanz am Abgrund. Im Westen Deutschlands verfangen die Argumente Wagenknechts nicht. Für Putin, gegen Selenski, gegen die USA, gegen die Nato – damit gewinnt man in Stuttgart oder Düsseldorf oder Kiel keine Wahlen.
So könnte es also sein, dass im nächsten Bundestag weder «Die Linke» noch das BSW vertreten sein werden. Den äusseren linken Rand gäbe es dann nicht mehr – die SPD und die Grünen wären links wieder allein, ein bisschen so wie in den 1980er-Jahren. Eine Option auf eine Mehrheit, eine Regierung der beiden Parteien, gibt es nicht mehr, zumindest nicht mit den heutigen Umfragezahlen. SPD und Grüne kommen zusammen auf plusminus 30 Prozent, das reicht nirgendwo hin.
Wagenknechts Risikospiel nützt der AfD
Und wer jetzt denkt, eine schwache Linke könnte die CDU freuen, der täuscht sich. Denn eine nicht-existierende Linke macht die AfD ganz rechts aussen stärker. Denn je weniger Parteien im Bundestag sind, desto mehr Sitze erhält eine Partei pro abgegebene Stimme. Wagenknechts Arbeit mit der Abrissbirne ganz links pusht also auch die «Alternative für Deutschland» ganz rechts. Dies umso mehr, wenn auch die FDP noch aus dem Bundestag fliegt. Dann hätte die CDU des wahrscheinlich nächsten Kanzlers Friedrich Merz praktisch keine Machtoption mehr ausser der SPD oder im unwahrscheinlichen Fall den Grünen.
Linksaussen-Wagenknecht macht also ein Linksbündnis unmöglich und zwingt, wenn sie wirklich nicht in den Bundestag kommt, SPD und CDU in eine neue Grosse Koalition. Wer jetzt also in Deutschland von «Richtungswahl» spricht, der weiss eigentlich: Stimmt gar nicht. Die Grosse Koalition, nur ein Notfall-Modell, wenn nichts anderes geht, wird zur Berliner Normalität. Und sie hat zwei Möglichkeiten: Entweder einigermassen geräuschlos und das eigene Profil versteckend zu regieren – oder nach der Ampel den nächsten Konzertsaal der Kakofonie zu eröffnen. Letzteres wiederum wäre bei der übernächsten Wahl 2029 ein fast todsicheres Gross-Geschenk an die AfD.
Und Sahra Wagenknecht, politisch und geografisch immer noch am äussersten linken Rand, spielt nicht mal mehr den Triangel. Sondern sitzt im Publikum. Und fragt sich vielleicht, wie schlau es war, die Linke zu sprengen – und damit selbst schuld zu sein an der eigenen Entzauberung.