Der deutsche Kanzler Olaf Scholz besucht US-Präsident Joe Biden in Washington. Zwei Monate nach seinem Amtsantritt – mitten in einer Ukraine-Krise. Diese ist auch ein Belastungstest für die transatlantischen Beziehungen. Denn in den USA wird Kritik laut, dass sich Deutschland zu wenig klar positioniere. Constanze Stelzenmüller, Expertin für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, über einen kühlen Kanzler, der Klartext sprechen muss.
SRF News: Wie kommt die deutsche Haltung in der Ukraine-Krise in den USA an?
Constanze Stelzenmüller: In den letzten Wochen sind eine Menge Fragen und Kritikpunkte hochgekommen. In der Sache sind die Unterschiede gar nicht so gross. Aber die Bundesregierung, die SPD-Fraktion und die Opposition im Bundestag haben sich mit ihren Äusserungen und der Tonlage keinen Gefallen getan. Im Wesentlichen geht es zwischen Deutschland und den USA um Wirtschaftssanktionen gegen Russland, nicht um einen Militäreinsatz.
Wie meinen Sie das?
Es geht darum, Russland durch gemeinsame europäisch-amerikanische Sanktionen zu zeigen, dass der Westen bereit ist, erhebliche Massnahmen einzusetzen: Diese sollen sehr schmerzhaft für die russische Wirtschaft sein, falls Russland die Ukraine angreift. Das sind hochtechnische Fragen, die wirtschaftlich, politisch und rechtlich schwierig sind. Hier gibt es aber ein weitgehendes Einvernehmen.
Die deutsche Regierung – der aktuelle Kanzler Scholz wie auch seine Vorgängerin Angela Merkel – war beim Thema Nord Stream ausgesprochen langzähnig. Obwohl es in der Politik in Berlin inzwischen grosse Einsicht gibt, dass dieses Projekt ein geopolitischer Fehler war.
Die öffentliche Debatte kreist aber immer wieder um Nord Stream 2. Russland möchte, dass sie in Betrieb gesetzt wird. Die Amerikaner halten das – wie viele osteuropäische Staaten auch – für einen schwerer Fehler. Denn in einer Krise wie der aktuellen erhöhe das nur die Abhängigkeit Europas und Deutschlands von russischem Gas.
Die deutsche Regierung – der aktuelle Kanzler Scholz wie auch seine Vorgängerin Angela Merkel – war beim Thema Nord Stream ausgesprochen langzähnig. Obwohl es in der Politik in Berlin inzwischen eine grosse Einsicht gibt, dass dieses Projekt ein geopolitischer Fehler war. Scholz hat jetzt endlich gesagt, dass er bereit ist, Nord Stream 2 in umfassende Sanktionen einzuschliessen, falls dies nötig sein sollte.
Aber auch das sagte er nur sehr verklausuliert. Fehlt dafür seitens der USA nicht das Verständnis, auch bei US-Präsident Biden?
In der Tat. Allerdings war auch Kanzlerin Merkel keine grosse Rhetorikerin und drückte sich gerne umständlich aus. In diesem Fall haben wir es zwar mit einem kühlen Kanzler zu tun, der klare Worte scheut. Er hat aber noch nicht zur Kenntnis genommen, dass man in dieser Krise klarere Worte pflegen muss. Erstens gegenüber der eigenen Öffentlichkeit in Deutschland, um den Menschen zu erklären, in welcher Lage wir uns befinden – aber auch gegenüber unseren Verbündeten. Sonst entstehen Zweifel, die vom Kreml genutzt werden können, um das Bündnis zu spalten.
Scholz hat noch nicht zur Kenntnis genommen, dass man in dieser Krise klarere Worte pflegen muss.
Zieht sich Deutschland zu stark aus der Verantwortung?
Es ist der deutschen Regierung noch nicht klar geworden, dass es ums Ganze geht. Es geht Putin beileibe nicht nur um die «Finnlandisierung» der Ukraine. Die beiden Vertragsentwürfe, die der Kreml Washington und der Nato vorgelegt hat, bezwecken nichts anderes als ein Zurückrollen der europäischen Sicherheitsordnung auf die Zustände der 90er-Jahre. Letztlich geht es um den Abzug der USA aus Europa und die Neutralisierung, vor allen Dingen von Deutschland. Viele der Handelnden in Berlin haben das begriffen. Die zurückgelehnte, maulfaule Sprache aus Berlin ist aber für viele bestürzend.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.