«Ich möchte keine Zeitenwende», sagt Marilyn Heib inmitten einer Panzersperre aus der Nazizeit. Die Friedensaktivistin streift im Saarland nahe Frankreich durch die mit Moos überwachsenen Betonblöcke und erzählt mit der Tochter an der Hand von Deutschlands Vergangenheit: «Heutzutage ist es besonders wichtig, dass wir den Kindern erzählen, was passiert ist. Natürlich vorsichtig. Ich meine, unsere Grossväter hier im Grenzgebiet haben sich beschossen.»
«Angst vor Krieg ist in Ordnung»
Heib kritisiert, dass die Bundesregierung nach Putins Überfall aufrüstete und Waffen lieferte. Das führe zu einer Aufrüstungsspirale. «Glauben Sie, dass Putin aufhört, wenn wir aufrüsten?! Irgendwann handelt jemand aus dem Bauch heraus. Dann haben wir wieder einen grossen Krieg.»
Zuweilen kommentiert die ausländische Presse, die Deutschen hätten aus historischen Gründen zu viel Angst. Das würde Deutschland aussenpolitisch lähmen. Heib zuckt mit den Schultern: «Angst vor Krieg ist in Ordnung.»
Ein geteiltes Land
Je nach Umfrage wollen 30 bis knapp 50 Prozent der Deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen. Eine Mehrheit stützt die bisherige Ukraine-Politik also.
Bei einer SRF-Strassenumfrage in Berlin wird diese Mehrheitsmeinung hörbar: Deutschland müsse sich für die territoriale Integrität der Ukraine einsetzen, heisst es da. «Die Ukraine braucht die Hilfe, sonst macht der Russe sie einfach platt», sagt ein Passant mit Cowboyhut.
So geteilt die Bevölkerungsmeinung, so polarisiert auch die politische Debatte. FDP, Grüne, SPD und CDU/CSU wollen weiter Waffen liefern und die Bundeswehrgelder aufstocken. AFD, Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht porträtieren sich hingegen als Friedensparteien.
Links-pazifistische Kreise kritisieren die AFD-Kampagne als irreführend, da auch die AFD aufrüsten will. Doch Verhandlungen mit Moskau fordern alle drei Parteien schon lange.
Deutschland und Donald Trump
Oskar Lafontaine, Berater von Frau Sahra Wagenknecht in deren neu-gegründeten Partei, sagt gegenüber SRF, Donald Trump bewege die deutsche Debatte: «Alle, die mit Russland reden wollten, wurden als ‹Putinknechte› bezeichnet. Heute reden alle von Verhandlungen.»
Die aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Friedrich Merz machen ihr genaues Vorgehen in der Ukraine-Politik zwar von Donald Trumps Ukraine-Plänen abhängig. Die US-Administration dürfte deren Eckwerte an der Münchner Sicherheitskonferenz kommendes Wochenende vorstellen.
Aufrüsten dürfte Deutschland aber so oder so weiter, was Donald Trump und viele Osteuropäer auch von Deutschland erwarten.
Olaf Scholz verteidigte in der TV-Debatte am vergangenen Sonntag militärische Mehrausgaben. Genau wie der andere Top-Kanzlerkandidat, CDU-Vorsitzender, Friedrich Merz. Dieser würde das Verteidigungsbudget gar auf drei Prozent des Bruttoinlandproduktes heben wollen.
Wenn es der Finanzhaushalt erlaubt, dürfte Deutschland also an der Politik der Zeitenwende festhalten. Da Putin Europa auf Jahre hinaus noch bedrohe, so Merz.