Am Wochenende haben in deutschen Städten Zehntausende gegen die AfD und den CDU-Kurs protestiert. Anlass war eine Abstimmung im Bundestag, welche die CDU unter Führung des Parteivorsitzenden Friedrich Merz mithilfe der rechtspopulistischen AfD gewonnen hatte. Damit gehen die Wogen in der Gesellschaft hoch – knapp drei Wochen vor den Wahlen. Die Politikwissenschaftlerin Claudia Ritzi schätzt ein.
SRF News: Wer profitiert von diesen Turbulenzen?
Claudia Ritzi: Das ist eine schwierige Frage. Friedrich Merz hofft natürlich, dass seine CDU davon profitiert. Er hat ein Kalkül. Ich denke, dass es ihm darum geht, Stimmen von der rechtspopulistischen AfD zu gewinnen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist aber noch völlig offen.
Dann gewinnt er vermutlich gar nichts und verliert noch was dabei.
Grosse Teile der Bevölkerung haben sich extrem daran gestört, dass er diesen Schritt letzte Woche im Bundestag gegangen ist. Dazu könnte es sein, dass doch viele, die dazu tendiert haben, die CDU zu wählen, jetzt doch zu einer der Ampelparteien zurückkehren, obwohl sie zuvor unzufrieden waren.
Inwiefern könnte dieses Kalkül von Friedrich Merz ihm selbst wieder auf die Füsse fallen?
Das kann absolut passieren, vor allem dann, wenn es ihm nicht gelingt, das Vertrauen derjenigen in Deutschland zu gewinnen, die sehr politikverdrossen sind und die Rechten wählen wollten. Dann gewinnt er vermutlich gar nichts und verliert noch was dabei.
Die Proteste richteten sich unter anderem gegen Merz. Laut Berichten gibt es auch Unstimmigkeiten innerhalb der Union aus CDU und CSU. Merz ist quasi an zwei Fronten unter Beschuss.
Innerhalb der Union gibt es viele, die sagen: «Lieber Friedrich Merz, warum bist du nicht den sicheren Weg gegangen und hast erst den Wahlsieg ins Haus geholt?» Der ist bis letzte Woche relativ absehbar gewesen. Die Umfragedaten haben für die CDU einen ganz deutlichen Vorsprung gesehen.
SPD und Grüne werden jetzt natürlich weiterhin darauf hinweisen, dass das ein Tabubruch gewesen sei.
Es gibt jetzt grosse Zweifel am Kanzlerkandidaten und immer wieder so ein bisschen eine Sorge, die mit ihm als Kandidaten einhergeht. Ist er vielleicht ein bisschen unberechenbar? Ist er manchmal sehr emotional? Das war Kritik, die Friedrich Merz schon viele Jahre lang begleitet hat – und die kocht jetzt auch wieder hoch.
Inwiefern könnten weitere Parteien wie die SPD oder die Grünen von der Situation profitieren?
Das werden SPD und Grüne jetzt versuchen. Sie werden jetzt natürlich weiterhin darauf hinweisen, dass das ein Tabubruch gewesen sei. Sie werden das als sehr problematisch in den Mittelpunkt rücken und dann sehen, wie viele Stimmen ihnen damit in den Schoss fallen.
Mit Blick nach vorn wird es in Deutschland Koalitionsverhandlungen geben müssen. So haben wir am Wochenende gleichzeitig gesehen, dass beide Parteien sehr zurückhaltend sind. Keiner sagt: «Mit so einem Merz wollen wir nicht kooperieren.» Diese Machtperspektive hält man sich trotzdem gleichzeitig noch offen.
Das heisst, eine künftige Koalition zwischen der CDU und der rechtspopulistischen AfD bleibt weiter unrealistisch?
Ja, das bleibt unrealistisch. Die AfD steht in so vielen Punkten in ihren Leitlinien so konträr zu dem, was auch zum Kernbestand der Union gehört – beispielsweise die Offenheit für Europa –, da wird es keine Übereinkunft geben und das will auch Friedrich Merz nicht. Das ist auch glaubwürdig.
Was er eben wollte, ist ein maximaler Handlungsspielraum. Das ist doch noch mal etwas anderes als tatsächlich das Eingehen eines festen Kooperationsbündnisses, so wie eine Koalition das erfordern würde.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.