«Wir befinden uns mitten im Nirgendwo und hier sehen wir die Pfade der Autoschmuggler», sagt ein Journalist im chilenischen Fernsehen und zeigt auf Reifenspuren, die durch eine karge Berglandschaft führen. Die Atacama-Wüste gilt als trockenste Region der Welt. Sie liegt auf einer Hochebene und trennt Chile von den Nachbarländern Peru, Argentinien und Bolivien.
«Es ist sehr schwierig, diese lange Wüstengrenze zu überwachen», sagt Tania Jiménez. Die Soziologin aus Bolivien hat den Autoschmuggel im Grenzgebiet genauer untersucht. Es ist ein Geschäft im grossen Stil: «In Bolivien gibt es rund eine halbe Million gestohlener Autos», sagt Jiménez.
Diebe feiern sich selbst in Musikvideos
In Videos auf Instagram und Tiktok zeigen die Diebe schamlos, wie sie in gestohlenen SUVs durch die Wüste rasen. Dazu läuft meistens das Lied «Chutero yo soy» – «Ich bin ein Autodieb – von Simon Latorre. Er gilt als einer der bekanntesten Autodiebe im Grenzgebiet.
«Chutero yo soy» – das Lied der Autodiebe
Im Musikvideo tanzt Latorre mit seiner Band in der Wüste, während unten im Bild eine Telefonnummer erscheint. Über diese können Kunden den Autodieben einen Auftrag erteilen und sich ein Auto stehlen lassen.
Autos gegen Geld, Drogen und Waffen
Boliviens Autodiebe haben eine eigene Kultur entwickelt, erklärt Soziologin Tania Jiménez: «Die Chuteros setzen ihren Autoklau in Szene, sie haben einen eigenen Musikstil entwickelt und religiöse Riten. Wenn sie die Grenze überqueren, opfern sie der Mutter Natur – genannt Pachamama – Wasser, Alkohol oder Nahrungsmittel. Sie beten zur Grenze, damit die Grenze sie beschützt».
Dabei arbeiten die bolivianischen Autodiebe eng mit chilenischen Banden zusammen: Die Chilenen stehlen in der Hauptstadt Santiago mit brutalen Überfällen Autos und fahren damit rund 2000 Kilometer Richtung Norden bis zur Atacama-Wüste. Dort übernehmen dann bolivianische Schmuggler die Fahrzeuge.
«Diese kriminellen Banden handeln miteinander: Sie tauschen die Autos gegen Geld und immer öfter auch gegen Drogen und Waffen», heisst es bei der zuständigen chilenische Strafverfolgungsbehörde. Die Regierungen in Chile und Bolivien wollen nun künftig enger zusammen arbeiten, um den Autoschmuggel im Grenzgebiet stärker zu bekämpfen.
Grosse Nachfrage für gestohlene Autos
Autoschmuggel ist in Lateinamerika häufig, da auf dem Halbkontinent nur wenige Autos produziert werden. Weil Autos meist aus Asien, Europa und Nordamerika importiert werden, sind sie teuer. Vor allem in einer Region, wo die Einkommen eher niedrig sind. Umgerechnet 350 Schweizer Franken verdient der Durchschnitts-Bolivianer im Monat. Auf legale Art ein neues Auto kaufen zu wollen, bedeutet langes Sparen. Das macht gestohlene Autos attraktiv.
Geklaut werden nicht nur Neuwagen, sondern auch gebrauchte Autos. «Lateinamerika wird mit diesen Autos überschwemmt, von den USA und Europa, wo Autos nach nur wenigen Jahren durch neuere Modelle ersetzt und entsorgt werden», sagt Soziologin Jiménez.
Chile und Bolivien müssten den Autoschmuggel bekämpfen, aber wenn man auf den Anfang der Produktionskette schaue, seien auch Autohersteller in den USA, Japan und Europa in der Pflicht, schliesst Jiménez. Für die Autodiebe in der Atacama-Wüste gibt es bis auf Weiteres wohl genügend Autos und genug zufriedene Kunden.